Buchbesprechung/Rezension:

Rudolf Brunngraber: Prozeß auf Tod und Leben

Rudolf Brunngraber: Prozeß auf Tod und Leben
verfasst am 15.04.2021 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Brunngraber, Rudolf
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In den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts, im Süden Ungarns, in einem Dorf, in dem Christen und Juden schon lange Tür an Tür leben. Wenn schon nicht Freundschaft, dann ist es doch gute Nachbarschaft, in der beide Gruppe zusammen leben.

Eines Tages verschwindet die junge Magd Esther, als sie auf dem Weg von einer Besorgung zurück zum Hof ist. Wir wissen, dass sie unglücklich in den Fluss gestürzt ist, aber die Menschen  im Dorf wissen davon nichts; eine Suche beginnt, während der sich schnell wirkliche Beobachtungen mit Gerüchten zu etwas vermengen, das aus einem Unfall eine Woge des Hasses entstehen lässt.

Es dauert nicht lange und überall glaubt man die Lüge: Die Juden waren es, das Mädchen wurde von den Juden entführt und ist Opfer geheimer Riten geworden. Mäßigende Stimmen werden nicht mehr gehört, nur noch das, was die eigenen Vorurteile und Behauptungen bestätigt, wird akzeptiert.

Das Unheil entsteht im Kopf eines einfachen Mannes aus dem Ort, der bald in allem, was er an Verhalten und Worten seiner jüdischen Nachbarn bemerkt, eine geheime Verschwörung zu erkennen glaubt. Was der Bauer Fekete nicht gleich versteht oder nicht kennt, das hinterfragt er nicht, sondern bildet sich gleich seine Meinung. Eine Meinung, die er wenig später als etwas verbreitet, was er genau gesehen haben will, was er ganz genau weiß. Fekete ist nicht allein, immer mehr unter der Christen beschuldigen die Juden, ohne auch nur irgendeinen Grund dafür zu haben außer dem, dass man etwas nicht versteht.

Als sich mit dem Baron Geza von Önody ein örtlicher Reichstagsabgeordneter einer radikalen Splitterpartei zum lauten Fürsprecher des Judenhasses macht, gewinnen die hetzerischen Elemente die Oberhand. Und immer wieder werden die Stimmen der Vernunft vom Geschrei der anderen übertönt.

Dieser historisch belegt Fall aus dem Jahr 1882 hat sich im Dorf Tisza-Eszlár zugetragen. Die feindselige Stimmung wurde in diesem konkreten Fall noch zusätzlich durch das ungeschickte Verhalten eines der Dorfbewohner aufgeheizt.

Wie genau hier Rudolf Brunngraber beschreibt und erklärt, was sich auch im 22. Jahrhundert die Verschwörungs-Gläubigen zusammenreimen: von Covid-Leugnern über QAnon-Anhänger bis zu denen, die Chemtrails für Realität halten und glauben, dass die Erde flach ist: so wie der Bauer Fekete sich in diesem Buch ein Hirngespinst zusammenreimt, so wird es auch allzu vielen in den Köpfen unserer heutigen Zeitgenossen zugehen.

Vergleichbares könnte genauso gut auch gestern an einem beliebigen Ort auf unserem Planeten geschehen sein. Im 21. Jahrhundert, im Jahr 2021 haben wir lernen müssen, dass wir noch immer mit solchen Exzessen zu leben haben. Der Unterschied zu damals ist nur, dass wir heute schneller davon erfahren und dass unsere Medien oft unheilvoll mithelfen, die Masse der Antisemiten und derer, die alles Fremde (warum, das werden sie selbst nicht wissen) hassen aufzuwiegeln. Gleich ist auch geblieben, dass sich Populisten nationalistischer Parteien an die Spitze solcher Kampagnen setzen.

So gesehen ist dieses Buch ein Gleichnis und ein Beleg dafür, dass zwar das Wissen der Menschheit im Laufe der Jahrhunderte anwächst, die Weisheit und Menschlichkeit vieler Einzelner jedoch nicht. In deren Seelen bestimmt auch heute noch das ein dunkles Mittelalter voller böser Geister.

Wovon „Prozess auf Tod und Leben“ berichtet, ist in der Schonungslosigkeit der Darstellung der Vorgänge und in der ungeschminkten Wiedergabe der Stimmung und Auseinandersetzungen abschnittsweise nicht zu lesen, ohne dass man kurz innehalten und tief durchatmen muss. So etwas kann es geben, so etwas geht von Menschen aus? Es ist beängstigend und beunruhigend und kaum zu ertragen.

„Prozess auf Tod und Leben“ ist ein Buch, das jene, die so sehr an dunkle Verschwörungen glauben, lesen sollten. Nur, um zu lesen, was Verbohrtheit und der Glaube an die Lügen von Demagogen anrichten können. Das aber setzt voraus, dass man bereit ist, nicht nur den laut Schreienden, sondern auch den leise Mahnenden zuzuhören.




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