Walter Serner: Der Pfiff um die Ecke
Autorin/Autor: Serner, Walter
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Von Walter Serner hatte ich zuvor noch nichts gelesen, der Name war mir tatsächlich überhaupt völlig unbekannt gewesen. Serner schrieb, nachdem er Mitte der 1920er-Jahre damit begonnen hatte, eine enorme Zahl an Krimi-Kurzgeschichten, die seinerzeit für Aufsehen, ja für so etwas wie einen Skandal sorgten.
Das Jahr 1925, in dem „Der Pfiff um die Ecke“ erschien, markierte zudem den Beginn der antisemitischen Angriffe auf Serner. Schon zwei Jahre später endete Serners Laufbahn als Schriftsteller, als er sich nach diesen Anfeindungen aus der Öffentlichkeit zurückzog. Auf der Flucht vor dem Naziterror emigrierte er nach Prag, von wo er dann nach der Besetzung der Tschechei im Augst 1942 von den Deutschen nach Riga deportiert und dort gemeinsam mit seiner Frau ermordet wurde.
Was von Walter Serner blieb, das sind sehr charakteristische Texte, in denen er Worte und Sätze zu schon fast kunstvoll zu nennenden Gebilden miteinander verbindet.
In diesen 22 Kriminalgeschichten stehen meistens kleine Gauner im Mittelpunkt. Wenn er seine Typen beschreibt, dann blickt Serner damit wohl auch auf die Welt der 1920er Jahre, als die verblassende Erinnerung an den Weltkrieg und das Kaiserreich einem Gefühl einer davor ungekannten Freiheit in einer neuen Zeit wich. Rundherum sind immer mehr Menschen im Aufbruch und in der Hoffnung auf bessere Zeiten – so etwas bringt naturgemäß, damals nicht anders als heute, diejenigen an die Oberfläche, die ohne viel selbst zu leisten, davon profitieren möchten.
Um genau solche kleinen Gangster, die schlauen Betrüger, die gewitzten Taschenspieler drehen sich Serners jewiels 10,11 Seiten lange Kurzgeschichten. Dabei hält es ihn nicht in Deutschland, er lässt seine Hauptdarsteller über ganz Europa ausschwärmen; sie vollführen ihren Betrügereien in Wien, in Paris, in Rom, in London, Barcelona – eben überall, wo es etwas abzustauben gibt …
Und (beinahe) immer sind es auch amouröse Geschichten, die zu Verwicklungen führen. Serners meist liebenswert gezeichnete Typen zeichnen sich oftmals dadurch aus, dass sie eine übermäßige Anziehungskraft auf die Frauen ausüben, womit dann vollends dem Klischee vom coolen Ganoven entsprochen ist.
Das alles zusammen war damals wohl für die selbsternannten Sittenwächter zu viel an Freizügigkeit, sind doch die Bewohner von Serners Welten alles andere als edle Menschen mit edlen Zielen.
So sehr jede einzelne der 22 Geschichten genug Originalität und Sprachwitz für auch eine längere Erzählung beinhaltet, so ähnlich sind einander letztendlich. Soll heißen, dass man nach der Hälfte dieser Geschichten auch schon viel von dem gelesen hat, was in den restlichen in abgewandelter Form noch kommen wird. Dann variiert Serner mit bemerkenswertem Einfallsreichtum die Themen und erzählt von erfolgreichen und gescheiterten Existenzen, von sittsamen und gänzlich unmoralischen Begegnungen, vom ewigen Wettstreit zwischen der Unterwelt und der Polizei.
Auch wenn es „Kriminalgeschichten“ heißt, so sind es doch vielmehr Milieustudien, in denen oft auch Kriminelles zur Geschichte gehört.
Man sollte etwas von Walter Serner gelesen haben, denn seine Sprache und seine Betrachtungen der 1920er-Jahre verschaffen einen erweiterten und offenherzigen Einblick in die Zeit, als alles machbar schien, am Ende aber alles zusammenbrach.