Yassin Musharbash: Russische Botschaften
Autorin/Autor: Musharbash, Yassin
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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„Russische Botschaften“ ist gewissermaßen der Thriller zum aktuellen Zustand unserer Gesellschaft und Demokratie: wir leben seit längerem in einer Welt voller gefälschter Nachrichten, eine Welt in der oft nicht mehr offen mit Panzer und Gewehr gekämpft wird, sondern in der die Angriffe über Medien, Social Media und andere digitale Kommunikationswege erfolgen.
Gerade bespricht Merle Schwalb mit einem Redaktionskollegen ihren Wechsel in die Gruppe der Investigativ-Journalisten der Zeitschrift Globus, als nur ein paar Meter neben den beiden ein Mann in den Tod stürzt. Es ist gleich zu erkennen, dass für den Mann jede Hilfe zu spät kommt. Merle macht, aus Gewohnheit, ein paar Bilder, doch scheint es sich um einen ganz gewöhnlichen Fall zu handeln. Diese Einschätzung ändert sich aber, als die Polizei eine Meldung herausgibt, nach der der Mann zwar verletzt, aber am Leben in ein Krankenhaus eingeliefert worden sei.
Wozu diese Falschmeldung?
Merle Schwalb forscht nach und findet heraus, dass der Tote Russe war. Als sich dann noch herausstellt, dass die Falschmeldung direkt vom Verfassungsschutz kam, ist das professionelle Interesse der Journalistin geweckt. Ein weiterer Hinweis zum selben Vorfall, diesmal aus einer ganz anderen Richtung, lässt dann keinen anderen Schluss zu, dass hinter diesem zunächst so alltäglich scheinenden Vorfall eine weit größere Story steckt.
Ein Blick in die Welt des Investigativ-Journalismus
In den letzten Jahren wurden einige Affären erst durch die Arbeit von Journalisten publik oder in der Folge genauer untersucht: die Panama-Papers, die Ibiza-Affäre, um nur die zwei bekanntesten zu nennen. Wir erfahren dabei meist nur von den Ergebnissen der Recherchen, aber nicht über die Recherchen selbst.
Yassin Musharbash bringt nun aus eigener Berufserfahrung das Wissen um die Abläufe hinter den Kulissen mit ein. Wie sich die Arbeit der Presse von jener der staatlichen Behörden unterscheidet, wie Kontakte gefunden und gepflegt werden, wie Informationen zusammengetragen und strukturiert werden, wie es zu Kooperationen mehrerer Medien kommt, wenn der Themenbereich für eines alleine zu umfangreich ist oder wie immer eine Unsicherheit bleibt, ob man nicht auch selbst Falschmeldungen aufgesessen ist.
Dazu kommt ein Einblick in die Strukturen hinter den Trollfabriken und die Verbreiter von Falschnachrichten, der, wenn es nur annähernd so stimmt, wie im Buch nachzulesen ist, auch überraschende Details offenbart.
Die Wahrheit wird von vielen Seiten angegriffen
Wenn Politik viel zu viele Fehler macht, wenn viele der Fehler einfach zu offensichtlich sind, dann nützen Einzelne oder Organisationen oder Staaten dies aus, um ihre eigene Agenda zu verbreiten. Denn eines ist sicher: Etwas kann noch so dumm, abwegig, verlogen und irrational sein – es werden sich trotzdem immer genügend Menschen finden, die es glauben.
Wenn es in diesem Roman nun um die andauernden Versuche der Einflussnahme durch russische Personen, Politik oder Organisationen geht, dann muss man das natürlich auch mit der Realität vergleichen. Es lässt sich dann tatsächlich sehr leicht nachvollziehen, wie sehr das, was im Roman zu lesen ist, den tatsächlichen Vorgängen nahekommt. Denn das findet man selbst überall und andauernd: wann immer in Publikationen, Blogs oder Postings etwas über Russland, die Ukraine oder Weißrussland steht, wenn es auch nur im Entferntesten um Themen geht, von denen man annehmen kann, dass es dazu sehr konträre Meinungen gibt (beliebte Themen sind derzeit Impfen und Klimaschutz), fallen die Trollfabriken aus dem russischen Umfeld wie die Heuschrecken ein und verbreiten Halbwahrheiten, erfinden Falschmeldungen und bestätigen einander, um größere Wirkungen zu erzielen (Ebenso lässt sich im Übrigen nachverfolgen, dass die überwiegende Anzahl von Hackerangriffen aus diesem Bereich kommt).
Mit dem professionellen Journalismus gibt es eine Säule unserer Demokratie, der eine wichtige Rolle beim Aufdecken und Korrigieren solcher Vorgänge zufällt. Doch seit es Rechtspopulisten von Trump bis Orban, die versammelten rechtsaußen Parteien von AFD bis FPÖ oder auch Jungkonservative wie Sebastian Kurz gibt, die versuchen genau dieses wichtige Korrektiv zu desavouieren, gibt es eben auch immer mehr Leute, die „Lügenpresse“ schreien, wenn es FAKTEN zu lesen gibt, die nicht ins eigene Weltbild passen.
Wie es tatsächlich zugeht, wenn Journalisten, die sich der Wahrheit verpflichtet haben, an einem Thema recherchieren, das kann man in diesem Roman nachlesen. Ob es im wirklichen Leben auch so dramatisch zugeht wie im Roman? Um der beteiligten Journalisten Willen hoffe ich, dass dem nicht so ist. Wobei man es aber durchaus mit Gruppen zu tun bekommen kann, denen Menschenleben nichts bedeuten.
Ein Buch voller Spannung und Dramatik, für mich eines der Thriller-Highlights des Jahres 2021. Am Ende muss ich erst einmal durchatmen, um den Blutdruck wieder auf normales Maß abzusenken.
PS: Als Lesestoff auch für jene zu empfehlen, die normalerweise irgendwelchen YouTube-Schwurblern jeden Unsinn glauben, anstatt sich seriös zu informieren.