Buchbesprechung/Rezension:

Bartholomäus Grill: Afrika!
Rückblicke in die Zukunft eines Kontinents

Bartholomäus Grill: Afrika!
verfasst am 06.10.2021 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Grill, Bartholomäus
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
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Die bittere Wahrheit ist, dass der Kontinent Afrika bei uns fast immer nur mit negativen Schlagzeilen in Erscheinung tritt: Flüchtlingskatastrophen, Bürgerkriege, Terrormilizen, Korruption.

Für EuropäerInnen, die sich mit der Geschichte nicht beschäftigt haben bzw. nicht beschäftigen wollen, ist der Kontinent zunächst einmal eine Ansammlung gescheiterter Staaten. Es wird dabei meistens vergessen, dass Afrika, so wie es heute besteht und politisch strukturiert ist, in weiten Bereichen ein Konstrukt und eine Folge europäischen Kolonialismus ist. Willkürlich gezogene Grenzen, zerstörte Gesellschaften blieben zurück, nachdem sich Engländer, Franzosen, Spanier, Portugiesen, Belgier, Holländer und Deutsche zurückgezogen hatten und – sehr großzügig – den Menschen deren eigene Heimat zurückgegeben haben. Zurückgegeben nach einer Unzahl an Verbrechen gegen die Menschlichkeit und in gänzlich anderem Zustand, als sie sie zuvor besetzt hatten.

Wenn Bartholomäus Grill über „Afrika“ spricht, dann spricht er über die Länder südlich der Sahara. Nördlich davon, das ist wieder eine andere Welt, mit anderen Übeln und anderen Problemen.

Aus seiner jahrzehntelangen Arbeit als Korrespondent für deutsche Medien kennt Grill viele Länder und viele der einfachen Menschen, genauso wie er viele der Herrschenden kennt. Diese Erfahrungen fasst er zunächst in Kapiteln über einige Länder zusammen: von den Anfängen und der Aufbruchstimmung nach dem Ende der Kolonialherrschaft (bzw. der Apartheid in Südafrika) ist zu lesen, von den Aussichten auf den Aufstieg des Kontinents, von der Wandlung der zuerst hochgejubelten politischen Anführer zu korrupten, machtbesessen Diktatoren.  Kaum ein Land, in dem es die Demokratie schaffte, sich dauerhaft zu halten; wer demokratisch gewählt war, setzte meist alles daran, in seiner Machtposition für immer zu bleiben.

Südafrika, Tansania, Äthiopien, Nigeria, Ruanda, Simbabwe, Sierra Leone. Über jedes dieser Länder ist das Wesentliche über die Vergangenheit und Gegenwart nachzulesen. Immer wieder Massenmorde, immer wieder Familienclans, die das Land ausplündern, immer wieder Bürgerkriege. Es ist schier unerträglich nachzulesen, wie oft und an wie vielen Orten die Menschen zu zehntausenden umgebracht wurden und werden – es geschieht andauernd, auch jetzt. Und immer wieder eine Welt, die wegsieht.

Wenn die westlichen Länder wegschauen, dann folgt schon seit einigen Jahren der Auftritt der neuen Macht in Afrika: China. Kredite, Infrastrukturbauten, wirtschaftlicher Einfluss treffen auf Staatsführer, die ihre Länder nach demselben undemokratischen Modell entwickeln wollen, wie es in China geschieht. Die meisten haben noch nicht erkannt, wie sie ihre Länder damit in die Hände des neuen Imperialismus geben, der nicht mit Panzern, sondern mit Geld daherkommt.

Wenn man diese Kapitel liest, dann wird der Titel des Buches erst so richtig verständlich. Der sich nämlich so lesen lässt, dass die Zukunft Afrikas bereits vorüber ist.

Den Anfang dieser andauernden Katastrophen haben zwar wir Europäer zu verantworten, doch in den letzten Jahrzehnten bis heute sind es lokale Warlords und Terrorherrscher, die ihre eigene Bevölkerung ausrauben und  umbringen. Wenn sich nun China massiv festsetzen kann, dann deshalb, weil von dort keine unangenehmen Bedingungen für ein wirtschaftliches Engagement gestellt werden. Demokratie und Menschenrechte  bleiben so weiterhin unerreichbare Ideale.

Zu dem, was in den einzelnen Ländern auf der politischen (=korrupten) Ebene passiert, kommen noch die Probleme, die den Kontinent insgesamt betreffen: Armut, Klimawandel, Überbevölkerung, islamistischer Terror, Ausbeutung der Bodenschätze, die nur einer kleinen Clique zugutekommt  – alles zwingt die Menschen, ihre Heimat zu verlassen, weil es dort einfach keine Chance für ein Überleben gibt. Ein Kreislauf, eines bedingt das andere.

In dieser Dichtheit liest man über den Zustand Afrikas ansonsten selten. Anhand von Einzelschicksalen und Gesprächen mit Opfern schafft Bartholomäus Grill Einblicke in die gegenwärtige Situation, die niemanden unberührt lassen kann.

Was aber, außer zutiefst erschüttert zu sein, kann man tun?

Auch wenn das Buch mit dem Kapitel über „Wege in die Zukunft“ beschließt: Was man politischen Absichtserklärungen und vollmundig ausgebreiteten Visionen zu halten hat, das wissen wir auch in Europa sehr gut. Klimaschutz, Steuergerechtigkeit, Korruptionsbekämpfung, Nachhaltigkeit werden mittels banaler Worthülsen so lange durchgekaut, bis am Ende nichts an Fortschritt in der Sache übrig bleibt. Ein Großteil der 54 afrikanischen Staaten leidet dazu noch an scheinbar unantastbaren Kleptokraten, die die staatlichen Strukturen so sehr durchdrungen haben, dass man sie kaum daraus entfernen kann.

Das alles macht den bleibenden Eindruck dieses Buches umso mehr deprimierender. Zeigt es doch, wie auf dem Kontinent, der einst die Menschen hervorbrachte, eine kleine Minderheit die große Mehrheit zugrunde richtet; und die Welt schaut noch immer zu …




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