Stephen Crane: Geschichten eines New Yorker Künstlers
Autorin/Autor: Crane, Stephen
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Den Titel erhielt das Buch von vier Kurzgeschichten über eine Künstler-WG in New York. Junge Männer, alle auf der Suche nach dem Durchbruch, auf der Suche nach Berühmtheit. Jeden Tag dreht sich ihr Leben darum, ob man etwas zu Essen besorgen kann, wer die Miete bezahlt und dann ist da noch die Eifersucht auf andere, die es offensichtlich geschafft haben. Ein Auftakt zu den folgenden Geschichten, der schon viel von der Erzählkunst Cranes zeigt.
Dieses ist der zweite Band mit kurzen Geschichten und kurzen Romanen Stephen Cranes, die der Pendragon-Verlag herausbringt. Stephen Crane ist so etwas wie ein kleiner Verlagsschwerpunkt der letzten Jahre über einen Autor, der in unseren Breiten noch immer viel zu wenig bekannt ist. Denn obwohl Crane nur 28 Jahre alt wurde und nur wenige Werke hinterlassen hat, gehören seine Geschichte über die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts zum Beeindruckendsten und Wirkungsvollsten, das ich aus dieser Zeit bisher gelesen habe.
- Maggie, ein Mädchen von der Straße
(Maggie. A Girl of the Streets, 1893)
Cranes erster Roman, nicht einmal 100 Seiten lang und doch über ein ganzes Leben: Maggie Johnsons Weg von kleinen Mädchen zur erwachsenen Frau. Was aus ihr hätte werden können; wenn man aber in dieser Armut, in dieser Gegend der dunklen und verschmutzten Hinterhöfe, in dieser lieblosen Familie aufwächst, wenn sich die Eltern selbst schon längst aufgegeben haben und nur mehr von einem Schnaps bis zum nächsten denken, dann nimmt man wohl jede Gelegenheit wahr, aus dieser Tristesse zu entkommen.
Maggie hat nie gelernt, Zuneigung zu verstehen, für sie sind es die großartigsten Gesten, die für junge Männer, die sich wichtig machen wollen und eine Mädchen wie sie um den Finger wickeln wollen, reine Großmäuligkeit und Angeberei. Ohne Gefühle, ohne Absicht, sich länger als nötig mit ihr zu beschäftigen.
Dicht und voller trüber Atmosphäre schreibt Cranes das Bild eines Lebens, das schon von der Geburt an keine Perspektive hat. Packend und traurig.
- Der zweite kurze Roman ist Georges Mutter
(George’s Mother, 1896)
Drei Jahre nach „Maggie“ erschienen, kehrt man wieder in diese überfüllte, laute, schmutzige Haus zurück, in dem Maggie als junges Mädchen lebt. George Kelcey wächst in eben diesem Haus auf, gemeinsam mit seiner Mutter, die so ganz anders als Maggies Mutter bewohnt er eine kleine Wohnung. Georges Mutter umsorgt ihren Sohn, so sehr, dass der voller Ungeduld versucht, sich aus der Enge der mütterlichen Zuneigung zu lösen.
Als er Maggie trifft, ist er nicht in der Lage, ihr seine Zuneigung zu zeigen, die Begegnungen gehen vorüber. Die Frage bleibt, ob George in der Lage wäre, Maggie vor dem Unglück zu retten, das sie erwartet? Doch als er im Treppenhaus den großspurigen Verehrer trifft, der auf der Suche mach Maggie ist, weist er dem nur den Weg und bleibt selbst zurück.
Cranes Geschichten und Romane sind deshalb so beeindruckend, weil man sich bald wie ein Teil des Geschehens fühlt, ein Außenstehender zwar, aber quasi die Stimmen hört, den Straßenlärm und das Geklapper der Pferde, wie aus den Fenstern Lärm dringt, oft ist es ein Streit. Man kann die Menschen richtiggehend sehen und ihnen durch die Straßen folgen und wenn man es möchte, dann wird man vom Zuschauer zum Teilnehmer.
Der Realismus der Erzählungen basiert zum Teil auf den Eindrücken, die Stephen Crane selbst gesammelt hat. Er war da, sah solche Straßen und Häuser mit eigenen Augen auf der Suche nach einer Welt, die er wegen seiner Herkunft nicht selbst erlebte musste. Er hat es miterlebt und versteht es, das Erlebte für seinen Leser*innen sichtbar, spürbar, hörbar zu machen. Selbst die Gerüche, die über allem liegen, meint man hie und da zu bemerken.
Maggies Geschichte eines kurzen Lebens ist für mich die nachhaltigste Erzählung in diesem Buch, doch auch viel der anderen, kürzeren Geschichten bleiben im Gedächtnis: über den Mann, der auf der Straße zusammenbricht, berührend über den kleinen Jungen, der in dem kleinen Hund seinen Freund findet; die Kinder spielen in dieser allgegenwärtigen Armut – in den dunklen Ecken der Stadt, aus der es wenig Chance gibt, auszubrechen – ganz im Gegensatz zur Legende vom amerikanischen Traum.