Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker
Autorin/Autor: Dürrenmatt, Friedrich
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Gleich mit den ersten Sätzen fühle ich mich in eine alte Sendung der Reihe „Aktenzeichen XY ungelöst“ versetzt (die mit Egon Zimmermann). Diese Stimme aus dem Off, die dokumentarisch beschreibt, wie das Verbrechen sich zutrug, dazu die Schwarz-Weiß Bilder, in denen die Tat und die ersten Ermittlungen nach dem Auffinden der Leiche nachgestellt wurden.
„Der Richter und sein Henker“ ist der erste Krimi von Friedrich Dürrenmatt und entstand zuerst als Fortsetzungsroman über 8 Folgen von 1950 bis 1951 in einer Schweizer Zeitschrift. Bilder dazu kann man sich aus einem Fernsehfilm aus dem Jahr 1957 oder der Verfilmung von Maximilian Schell aus dem Jahr 1975 holen, die Ausgabe aus dem Diogenes-Verlag aus dem Jahr 1985 beinhaltet einige Bilder aus dieser Schell-Verfilmung.
Ebenso von Beginn an ist die offene oder nur wenig verhüllte Komik merkbar, die Dürrenmatt dieser Krimi-Novelle mitgibt.
Der 3. November 1948: Der Polizeileutnant Ulrich Schmied aus Bern wird erschossen in seinem Wagen, der mit laufendem Motor auf einer Landstraße steht, aufgefunden. Es ist der Dorfpolizist Clenin, der die Leiche entdeckt und in seiner Ahnungslosigkeit, was in so einem Fall zu tun ist, in einer schon beinahe als Slapstick zu bezeichnenden Szene den Tatort (das Auto), samt Opfer (das er vom Fahrer-auf den Beifahrersitz hievt) direkt nach Bern zum Kommissariat chauffiert. Wir, als Krimierfahrene, möchten ihm zurufen, dass er doch alle Spuren mit diesem Unsinn verwischt. Doch so weit denkt ein Landpolizist in der Schweiz im Jahr 1950 nicht, er hat ganz anderes im Sinn, nämlich nur wenig Aufsehen wie möglich in seinem Revier zu erregen.
Kommissar Bärlach, der auch der Vorgesetzte Schmieds war, ist der ermittelnde Kriminalist.
Wenn nun die ersten Handlungen Bärlachs seltsam anmuten, dann muss man nur darauf warten, dass im nächsten Schritt ein paar Hintergründe erklärt werden. Schmid sollte nämlich im Auftrag Bärlachs einen notorischen Verbrecher in einer verdeckten Aktion zur Strecke bringen sollte. Dieser Bärlach ist so etwas wie ein altgedientes Schlachtross der Polizei – er eckt an, ohne dass es ihn bekümmert, er muss sie nicht haben, diese neuen Methoden bei der Mordermittlung, er plant seine Züge, als wäre die Polizeiarbeit ein Schachspiel, bei dem man seinem Gegner immer nur ein paar Züge voraus sein muss um zu gewinnen.
Sein erster Zug: niemanden in seine Pläne einzuweihen, obwohl er doch selbst den Polizisten Tschanz als seinen Assistenten anfordert. Er, Bärlach, wäre gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe und müsste jemanden zur Unterstützung haben, der sich mit ihm vor Ort umsieht und ermittelt. Wobei der Bärlach, zwar kein Ausbund an Fitness ist, aber zu kränkelnd – man stellt es bald fest – für eine fintenreiche Ermittlung, das ist er nicht. Ein erster Zug also.
Das ist der Auftakt zu einer Inszenierung, die einzig allein zu dem Zweck stattfindet, den von Bärlach gleich von Anfang an Verdächtigten in Sicherheit zu wiegen und so zu den definitiven Beweisen für die Tat zu kommen.
Es muss eine sehr spitze Feder gewesen sein, mit der Dürrenmatt diese Geschichte schrieb. Wenn er wie beiläufig über die stolze Neutralität der Schweizer schreibt, die es den Eidgenossen so leicht ermöglicht, ohne schlechtes Gewissen über das Unrecht gleich jenseits der Grenzen hinwegzusehen (zur Erinnerung und als Hinweis: Nazideutschland ist erst wenige Jahre zuvor untergegangen). Oder wenn er ganz genüsslich die Ahnungslosigkeit des Polizisten Clenin beschreibt und wie Bärlach dessen ungeschicktes Handeln mit einem Lob tadelt. Bissig auch die „konservative linkssozialistische unabhängige Partei“, ein Verweis auf eine Politik, die alles allen verspricht und nichts für irgendwen erreicht; ausgenommen nur die eigene Klientel, womit sich Dürrenmatt auch der diskreten Verbindungen zwischen Politik und Industrie widmet, die man wohl meist sehr zum Nutzen der Beteiligten ist. Fasst man einige dieser in die Handlung eingeflochtenen Seitenblicke zusammen, dann lässt sich unschwer erkennen, dass darum geht, wie gerne in der Schweiz Geld über Moral gestellt wird (und wieder der Hinweis, diesmal auf die Haltung der Schweiz gegenüber Nazideutschland).
Das und vieles, das Dürrenmatt noch in seine Erzählung einfließen lässt, mag großteils nur für Zeitgenossen und/oder Schweizer bedeutsam bzw. verständlich sein; um dies zu durchblicken, sei auf die im Buch abgedruckten Rezensionen aus den 1950er-Jahren für alle verwiesen, die weder das eine noch das andere sind. Rezensionen und Analysen zur Novelle machen rund ein Drittel des Buches aus – es bleibt also nach der Auflösung des Falles noch einiges zu lesen, das zu den Gedanken und Hintergründen weitere Klärung bringt.
Mit den knapp 100 Seiten, die der Krimi umfasst, belegt Dürrenmatt zudem auch, dass es gar nicht dicker Bücher bedarf, um Spannung und literarischen Anspruch zu einem großartigen Ganzen zu verbinden. Was sich meiner Meinung nach viele Autorinnen und Autoren zu Herzen nehmen könnten, die meinen, dass es unter 400, 500 Seiten kein Roman wäre. Dürrenmatt, dem entgegen, verzichtet auf Ausschweifendes, vermeidet Ausschmückungen und Adjektivitis und landet doch mit seinen knappen Worten mitten in den Gedanken der Leserinnen. Was an Text fehlt, wird so wie von selbst zu einem atmosphärischen Bild.