Buchbesprechung/Rezension:

Ödön von Horváth: Geschichten aus dem Wiener Wald
Volksstück in drei Teilen

Ödön von Horváth: Geschichten aus dem Wiener Wald
verfasst am 23.07.2022 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Horváth, Ödön von
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Ein Drama an der Schnittstelle zwischen der versunkenen Monarchie, dem sich auftürmenden Nationalismus, zwischen alten Konventionen und dem Verlangen, die alten Pfade zu verlassen.

Zunächst ist es wichtig, sich den Hintergrund zu vergegenwärtigen, vor dem dieses Drama entstand: zu Beginn der 1930er-Jahre lebte die Kaiserzeit in weiten Schichten der Bevölkerung weiter, während zugleich die Straßen mehr und mehr von den Rechtsextremen beherrscht wurden. Dazu kamen noch die Ausläufer der Weltwirtschaftskrise. In dieses instabile Gemenge stieß Ödön von Horváth mit seinem Theaterstück wie mit einem scharfen Dolch mitten hinein.

Die Personen der Handlung verkörpern die Typen der Zeit: der pensionierte Rittmeister als Relikt der Monarchie; der Zauberkönig als typischer Patriarch, dem nach dem Verlust seiner Frau seine Tochter Marianne als bessere Hausdienerin zu Diensten sein muss; Oskar, der sich eine junge, hübsche Frau verliebt hat und die sich von ihm, dem braven abwendet, um mit dem bösen Buben durchzubrennen; Alfred, eben jener Strizzi, der sein Heil schön früh in dubiosen Geschäften suchte, statt zu arbeiten; Erich, der stramme stolze Preuße, der so sehr den Klischees vom strammen Deutschen entspricht.

Mit seinem Drama über enttäuschte Liebe, zerbröckelnde alte Konventionen und das Ende der Illusionen von Heurigen-Glückseligkeit und Walzertraum hat Ödön von Horváth wohl genau die verwundbaren Stellen der Konservativen und Rechtsextremen getroffen. Denn von dort gab es von Anfang an Anfeindungen, wütende Proteste und Versuche, das Stück verbieten zu lassen: Unzüchtiges Treiben, unmoralischer Lebenswandel – dazu möchten sich die falschen Moralisten eben ungern den Spiegel vor die Nase halten lassen. Es war für viele undenkbar, dass öffentlich auf einer Bühne über das gesprochen wurde, was im Privaten doch Alltag war.

Marianne, die Tochter aus bürgerlichem Haus, löst ihre Verlobung und brennt mit Alfred, den sie doch eben erst kennen lernte, durch. Ihr Ausbruch aus dem Gefängnis des väterlichen Haushaltes führt sie aus Geldnot als Nackttänzerin in eine Rotlichtbar. Selbst das Kind, das sie mit Alfred bekommt, hindert den nicht daran, nach kurzer, von Marianne geforderter Abstinenz sich wieder halbseidenen Geschäften zu widmen. Und weil ein Kind, der kleine Leopold, bei alledem stört, wird er zu Alfreds Mutter auf Land verfrachtet. Aus „Hals über Kopf verliebt“ wird für Marianne ein einziges Unglück, in dem auch noch ihr Kind stirbt.

Schon die Uraufführung konnte mit Schauspieler-Größen glänzen: Peter Lorre (Alfred), Paul Hörbiger Rittmeister), Hans Moser (Zauberkönig) , Paul Dahlke (Erich)  fanden sich im Ensemble, das am 2.11.1931 im Deutschen Theater Berlin das Stück aus der Taufe hob. Eines der zentralen Werke des 20. Jahrhunderts betrat die Bühne und blieb dort bis heute präsent.

Als moralische Entlarvung mag „Geschichten aus dem Wiener Wald“ nicht mehr wirken, als zeitloses Drama über den Unterschied von gepredigter und gelebter Moral bleibt es aber aktuell wie damals.




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