Buchbesprechung/Rezension:

Yoko Ogawa: Der Duft von Eis

Der Duft von Eis
verfasst am 25.08.2022 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Ogawa, Yoko
Genre:
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Horiyuki Shinozuka ist Parfümeur, soeben hat er seiner Freundin ein eigens für sie kreiertes Parfum, er nannte es den „Duft der Erinnerung“, geschenkt. Ab Tag darauf nimmt er sich das Leben und lässt alle, die ihn kannten, ratlos zurück.

Horiyuki stirbt, nachdem er Ethanol getrunken hat, eine der vielen Ingredienzen, die zur Parfum-Herstellung verwendet werden, mit der er doch schon so oft zu tun hatte. Seiner Freundin Ryoko und seinem Bruder Akira ist rätselhaft, was geschah, nichts deutete zuvor darauf hin.

In den Gesprächen der beiden stellt sich Stück für Stück heraus, dass Horiyuki ein ganz anderer Mensch war, als der, die sie zu kennen glaubten. Er führte, so finden sie heraus, gewissermaßen mehrere Leben neben- oder hintereinander, wozu auch gehörte, dass Freundin und Bruder nichts voneinander wussten, ja Horiyuki erfand sogar eine Geschichte darüber, dass seine ganze Familie bereits tot wäre.

Unter Horiyukis Unterlagen findet sich auch ein handgeschriebener Lebenslauf. Der, wie sein Bruder nach kurzer Lektüre feststellt, völlig erfunden ist. Jedenfalls aus der Sicht des Bruders, doch die kann nur das einschließen, was Horiyuki ihm mitgeteilt hatte.

Das Rätsel, das den Freitod ihres Freundes umgibt, lässt Ryoko alle Spuren folgen, die Horiyuki in seinem Leben hinterlassen hat. Sie findet die Spuren eines Menschen, von dem sie anscheinend nur einen kleinen Ausschnitt seines ganzen Wesens kannte. Ein begnadeter Eiskunstläufer, ein genialer Mathematiker – es scheint immer wahrscheinlicher, dass etwas in dem gefundenen Lebenslauf doch wahr wäre – nur eben hatten seine Familie und seine Freundin keine Ahnung von seinem ganzen Leben.

Ein Ereignis, bei dem sich die Weichen für Horiyukis weiteres Leben stellten, fand in Prag statt. Als sie in Horiyukis Elternhaus alle diese Pokale entdeckt, als sie erstmals davon erfährt, dass er ein mathematisches Genie war, weiß Ryoko, dass sie nach Europa reißen muss, wenn sie den Schlüssel zum Verhalten ihres verstorbenen Geliebten finden möchte. Dabei ist schon diese Reise selbst außergewöhnlich, denn nach allem, was Ryoko weiß, hatte Horiyuki panische Angst vor dem Fliegen und wäre nie nach Prag geflogen.

Yoko Ogawas Romane spielen oft in einer Art von Zwischenwelt, eine, in der es dann mehrere Versionen einer Wirklichkeit zu geben scheint. Auch Mathematik ist ein von ihr gerne verwendetes Thema, denn für diejenigen, die dafür begabt sind, lässt sich einfach alles in Zahlen beschreiben und verstehen.

Das Mysterium dieses Buches liegt nun darin, dass es wahrhaft so aussieht, als ob der eine Horiyuki damals, er war gerade sechzehn Jahre alt, nach Prag gereist war und ein ganz anderer Horiyuki von dort zurückgekommen wäre. Je mehr von seinem früheren Leben zu erfahren ist, desto mehr Unterschiede werden erkennbar, Unterschiede, die weit über das hinaus gehen, was mit dem Älterwerden zu erklären wäre.

Ich lese den Roman in einer Mischung aus Neugierde, Spannung und Verwirrtheit, zu der dann noch Ungeduld dazu kommt, als sich das Geschehen mehr und mehr nach Prag verlagert, dem Ort, an dem etwas passiert ist.

Die Verwirrtheit resultiert – auch – daraus, dass der Zeitablauf seine Richtung verliert und dass es überdies scheint, als würden sich mehrere Dimensionen von Realitäten überschneiden.

Die Ungeduld steigt, weil Yoko Ogawa ihren Leserinnen und Lesern nicht die Freude macht, in einer Linie geradewegs auf die Auflösung zuzugehen, sondern immer wieder abschwenkt, ein Detail zu diesem oder jenem erzählt. Wobei das Wort „abschwenkt“ hier in bewussten Gegensatz zu „abschweift“ verwendet ist, denn diese Seitenwege der Geschichte sind wirklich keine Zeilenfüller, sondern oft notwendige Episoden, ohne die es nicht weitergehen würde (auch wenn man das bei einigen diese Episoden erst viel später im Buch herausfindet). Dazu gehört beispielsweise auch Jeniak, der Ryoko in Prag als Fremdenführer zugeteilt ist: Er spricht weder Englisch noch Japanisch, keine verbale Kommunikation zwischen den beiden ist möglich und doch scheint er zu verstehen, warum Ryoko in die Stadt gekommen ist.

Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto unklarer wird, wohin sie sich entwickelt. Dann treffen Verwirrtheit und Ungeduld zusammen und es erfordert eine gehörige Postion an Konzentration, um weiterzulesen. Am Ende bleibt deshalb mein Resümee, dass es mir fast ein wenig zu viel an Fantasie ist, was Yoko Ogawa in ihren Roman verpackt hat; mehr davon hätte jedenfalls nicht sein dürfen.

Andererseits macht es viel Freude, sich Zeit für diese märchenhafte, gelegentlich in das Fantasy-Genre neigende Erzählung zu nehmen.

PS: Dann und wann lese im Buch etwas, dass mich an die Momente denken lässt, bei denen mir ein Geruch in die Nase fällt, der mich an ein Ereignis, einen Menschen oder an ein Gefühl von früher erinnert.

PPS: Wenn man hin und wieder über für uns schon längst veraltete Dinge des Alltages liest, so liegt das daran, dass dieser Roman bereits im Jahr 1998 veröffentlicht wurde, aber erst jetzt ins Deutsche übersetzt wurde.




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