Heiko von Tschischwitz: Die Welt kippt
Autorin/Autor: Tschischwitz, Heiko
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Die Auseinandersetzung zwischen schönen Worten / leeren Phrasen und handfesten Taten. In Bezug auf die Umwelt ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt klar, wer diese Auseinandersetzung gewinnt: diejenigen, die leere Phrasen am eloquentesten unter die Leute bringen.
Von wirklichen Veränderungen und mutigen Schritten kann nicht die Rede sein, hoch bezahlte Lobbyisten und willige, postenverliebte Politiker schaffen es, entscheidende Maßnahmen auf die lange Bank zu schieben oder ganz zu verhindern. Eine Absichtserklärung folgt der nächsten, womit sich der Klimawandel aber natürlich nicht bremsen lässt. Somit stellt sich nur mehr die Aufgabe, die Folgen daraus zu beherrschen und Wege zu finden und wie wir als Menschheit darin auch in Zukunft einen Platz haben. Denn, soweit sind sich wohl alle einig: Die Erde kommt auch sehr gut – nein: viel besser ganz ohne uns Menschen zurecht.
Andere Krisen kommen und gehen, doch die Klimakrise bleibt.
Shannon O’Reilly, die höchst erfolgreiche Investorin in nachhaltige Projekte und Tessa Hansen, die engagierte Klimaaktivistin, die ein paar Jahre zuvor nur knapp einen Mordanschlag überlebt hatte, treffen bei einer Konferenz im Sommer des Jahres 2026 in London erstmals aufeinander. Aus einer lebhaften Podiumsdiskussion wird mehr.
Die Ausgangslage für diese Situation sind die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Jahres 2022. Das Geschehen findet zwar „nur“ 4 Jahre in unserer Zukunft statt, doch gerade die vergangenen Jahre haben uns gezeigt, wie viel in einem einzigen Jahr passieren kann, das unser aller Leben in nicht vorhersehbarer Weise beeinflusst, ihm eine neue Richtung gibt.
Shannon und Tessa haben zwar dasselbe Ziel vor Augen, haben jedoch ganz unterschiedliche Wege eingeschlagen, um diese zu erreichen. Daraus ergeben sich zwischen den beiden intensive Gespräche, in denen sich das abbildet, was auch heute genau die zentralen Fragen sind; wie nämlich kann man den Klimawandel noch eindämmen.
Die EU nimmt in Bologna einen Quantencomputer in Betrieb, der in China gebaut wurde. Dort, in China, hat man sich vom Rest der Welt zunächst unbemerkt einen enormen Technologievorsprung erarbeitet. Einen funktionsfähigen Quantencomputer zu liefern, während anderswo noch mit dieser Technologie experimentiert wird, ist sichtbares Zeichen dieses Vorsprunges.
Minerva heißt die Maschine und sie soll exakte Szenarien für die Zukunft berechnen.
Im Hintergrund schmiedet China jedoch schon weitere Pläne für diese Zukunft, die dem Reich der Mitte eine dauerhafte Vormachtstellung auf dem Planeten sichern sollen. Welche Vorhaben das sind, welche Projekte schon realisiert werden und welche Ziele die chinesische Führung tatsächlich verfolgt, das weiß niemand. Bekannt ist nur, dass in Afrika auf zwei riesigen Baustellen etwas entsteht, dessen Zweck für Außenstehende nicht erkennbar ist.
China ist auf dem besten Weg, die Klimakrise zu nutzen, um alle andere Nationen hinter sich zu lassen und auch Minerva selbst könnte so etwas wie ein riesiges Kuckucksei mitten in Europa sein.
Freiwillige Einschränkung vs. Verbote
In diesem Roman finden sich nicht nur wissenschaftliche und wirtschaftliche Themen, sondern vor allem auch politische und humanitäre. Wie sehr müssen bzw. dürfen die individuellen Freiheiten und Rechte eingeschränkt werden, um tatsächlich eine Wende im Verhalten der Menschen und der Wirtschaft insgesamt zu erreichen. Dabei stehen einander die Form der Diktatur, wie China sie betreibt und die Form der liberalen Demokratie des Westens an den entgegengesetzten Enden des Spektrums der Optionen gegenüber.
Heiko von Tschischwitz nimmt sich das als eines der Hauptthemen dieses Romanes vor: wie weit sollen, können, dürfen, müssen individuelle Freiheiten gegenüber dem Allgemeinwohl zurückstehen. Das China-Modell mit seiner Verleugnung fundamentaler Menschenrechte, mit dem Vorrang des Kollektivs vor individueller Freiheit kann nicht die Lösung sein. Unser demokratisches System, in dem jeder nur auf sein eigenes Wohlergehen schaut und in dem gerade unser liberales System (Thema: Meinungsfreiheit) nicht verhindert, dass die Gegner der Demokratie immer lauter und einflussreicher werden, ist es aber auch nicht. Der Verweis, wie bei uns schon im Zuge der Corona-Pandemie individuelle Rechte zeitweise eingeschränkt wurden, hat deshalb seinen notwendigen Platz im Roman.
Lässt sich so etwas auch für das Klima durchsetzen? Wären die Einschränkungen, die dem Klima zugutekommen, nicht weitaus weniger drastisch als die Folgen des Klimawandels selbst? (Eines jedenfalls konnten wir aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre klar lernen: auf Eigenverantwortung und freiwillige Selbstbeschränkung zu setzen, bringt überhaupt nichts).
Beängstigend realistisch
Wissenschaftliche Erkenntnisse von heute erweitert um mögliche Entwicklungsschritte in der Zukunft bilden so den realen Untergrund zur Story. Mit der Zusammenführung von bekannten Fakten, aktuellen Prognosen und logisch erscheinenden Hypothesen und wie angegossen dazu passenden Fiktionen hat Heiko von Tschischwitz einen beinahe schon beängstigenden Thriller geschrieben.
Das hat auch damit zu tun, dass die Prognosen, die wir in regelmäßigen Abständen präsentiert bekommen, jedes Mal für die Menschheit noch dramatischere Entwicklungen vorhersagen. Ansteigender Meeresspiegel, Naturkatastrophen, Dürre, Überschwemmungen – täglich lesen, hören und sehen wir davon.
Nichts ist mehr denkunmöglich, denn niemand weiß, was uns am Ende der in Gang gesetzten Entwicklungen erwartet. Wir wissen nur, dass außer Reden viel zu wenig geschieht. Was also wird geschehen: wird die Menschheit im Chaos versinken oder finden endlich alle zusammen, um das Unheil abzuwenden?
„Die Erde kippt“ zeigt jedenfalls ein sehr real wirkendes Szenario.