Leonhard Horowski: Das Europa der Könige
Macht und Spiel an den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts
Autorin/Autor: Horowski, Leonhard
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Wie entsteht denn, genau genommen, Geschichte? Es ist wohl nicht so, dass jemand beschließt, dass jetzt der richtige Moment wäre, etwas für die Geschichtsbücher zu unternehmen, etwas, von dem man auch noch in Jahrhunderten lesen wird.
Vielmehr „passiert“ Geschichte oftmals einfach und dabei mengen sich persönliche Befindlichkeiten, spontane Einfälle oder gesellschaftliche Konventionen zu etwas, das mit einem Mal den Ereignissen eine andere Richtung gibt; eine Richtung, von der die involvierten Personen zunächst auch gar nichts bemerken, ganz nach dem Satz vom sanften Flügelschlag eines Schmetterlings, der später, an anderer Stelle zu einem Orkan führt.
Dazu muss man den Titel des Buches erweitern: denn es waren nicht die Könige alleine, vielmehr war es das „Europa der Könige und Höflinge“. Denn sosehr die Herrscher auch die quasi offizielle Regierenden waren, so spielten doch die Mitglieder der Höfe eine deutende Rolle. Nicht indem sie etwas direkt beschließen durften, sondern durch Intrigen, Einflüsterungen, Heirat oder schlichten Betrug. Über die Hofetikette konnten sich selbst absolute Herrscher wie Ludwig XIV nicht einfach so hinwegsetzten, sondern mussten, König hin oder her, notgedrungen immer wieder Kompromisse schließen.
Was man in Händen hält, ist sowohl ein Geschichtsbuch als auch ein Lesebuch mit amüsanten, seltsamen und überraschenden Geschichten, aus denen dann und wann Geschichte wurde. Beteiligt daran sind, neben den Königen, viele bekannte Nebendarsteller der Geschichte, aber auch viele, mehr oder weniger Unbekannte, über deren Leben man hier zum ersten Mal erfährt. Es sind jede Menge lustige Episoden (wobei man annehmen kann, dass einige der Beteiligten es damals gar nicht so lustig fanden), vor allem aber offenbaren alle zusammen, wie es sich, jedenfalls in Adelskreisen und Königshäusern, damals lebte.
Bis auf das erste Kapitel trägt sich alles einige Jahre nach dem Ende des 30-Jährigen Krieges zu. Der war zwar durch den Westfälischen Frieden zu einem Ende gekommen, an der Feindschaft von Katholiken und Protestanten änderte sich aber nichts. Die sorgte auch in den nicht vom langen Krieg nicht betroffenen Ländern für laufende Konflikte und Gewaltausbrüche. Ein guter Teil der Zeitgeschichte jener Tage war also geprägt von unversöhnlichen Glaubensgegnern und eifersüchtigen Familienstreitigkeiten – wobei das alles nicht an den einzelnen Grenzen haltmachte, sondern den ganzen Kontinent überzog.
Leonhard Horowski hat ganz tief in den Stammbäumen recherchiert und das lässt ein überaus verwirrendes Verwandtschaftsgeflecht entstehen, dessen Verästelungen man bisweilen schwer folgen kann. Man sollte dabei wissen, dass sich diese Stammbäume bis heute verfolgen lassen, weshalb man überraschende Namen bei den Nachfahren der damaligen Protagonisten findet.
Es sind zwanzig, mitunter amüsante Episoden, die, man merkt das, nachdem man ein paar gelesen hat, sich nicht so sehr im Inhalt als in den beteiligten Personen voneinander unterscheiden. Bei aller Rivalität zwischen den Herrschern, verband alle dann doch das Band des Zeremoniells. Das war, grenzübergreifend, allen so sehr in Fleisch und Blut übergegangen, dass kaum jemand auf die Idee kam, sich darüber hinwegzusetzen.
Eine Eigenheit dieses Buches ist die überwältigen Menge an Name und Verwandtschafts- (und sonstigen) Beziehungen, die der Historiker Horoswki zusammengetragen hat; ein wahrhafte Herkulesaufgabe muss das gewesen sein. Es ist aber, bei aller Abwechslung und bei der überaus guten Unterhaltung, die diese Geschichten bieten, irgendwann eine Art von Wiederholung von Ereignissen, über die man schon gelesen hat, nur passierte das an anderen Orten, mit anderen Beteiligten.
Zum Verständnis der Entwicklung Europas nach dem 30-Jährigen Krieg eine sehr wertvolle und informative zusätzliche Quelle, die allen an der Zeit Interessierten zu empfehlen ist.