Lydia Mischkulnig: Die Gemochten
Autorin/Autor: Mischkulnig, Lydia
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Luis
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Lydia Mischkulnigs Figuren sind exzentrisch bis kauzig, sind skurril bis spaßig. Sind anders. Sie tragen die Erzählungen, entfalten die Handlungen. Unterschiedliche Beziehungen, gelebt, gelitten und entwickelt an bekannten oder gut vorstellbaren Orten werden in einer angenehm lesbaren Sprache dargestellt, die gleichzeitig herausragende Sprachkunst ist.
Den Gemochten ist eine eigene Erzählung gewidmet. Ihr Ritual ist ihr Mögen in einem Wiener Dreistundenhotel. „Nirgends ist die verfließende Lebenszeit so genau bemessen wie im Stundenhotel“, erzählt die Autorin. Wie durch ein Schlüsselloch beobachten wir die beiden. Tore für eigene Vorstellungen öffnen sich, die Zeilen lassen den Leser:innen ausreichend Raum. Manuela fragt zum Beispiel, ob sie grammatikalisch richtig formuliert, wenn sie während des Orgasmus spricht? Oder Egon räsoniert, ob die Nachbarn am Dach sein werden, wenn er die Babywäsche auf Manuelas Terrasse aufhängt?
Der Lehrer wird einen Film über seine Kollegin Elisabeth machen. Ihre Direktorin wird darin vorkommen. Sie hat keine Kinder, will aber sowohl die Schüler:innen, als auch Elisabeth und ihn mit Methoden von früher erziehen: „Wer nicht gehorcht, wird abgeführt und in ein Heim gebracht!“, hatte die Direktorin verzapft und wollte der Lehrerin klarmachen, wie sie mit den Schüler:innen umzugehen hätte. Es nützte Elisabeth nichts, die Klasse mit einem Teppich heimelig zu gestalten oder mit den Mädchen über Frauenkörper zu reden. Der Lehrer träumt seinen Film, und Elisabeth lächelt, aber: „Alles wird nachtblau und schaut in den Himmel, als der Lärm, der aus dem Film kommt, in einer Kurve abschwenkt. Nur im Krieg ist Krieg, ich bin auch diesmal nicht dabei, hämmert es in meinem Kopf.“
„Mutterhirn“, „Outing“ und „Die Umzüglerin“ sind weitere Erzählkapitel, dann entwickelt Lydia Mischkulnig „Nora schreibt“ und nimmt mich erneut schnell und tief mit. Der (womöglich auch mein) Körper schreibt sich in mir fest:
„Man könnte auch sagen, die Körper sind gut, doch die Menschen schlecht. Daher muss man die Körper vor den Menschen schützen.“
Die einzelnen Erzählungen sind, in einer überschaubaren Rezension, inhaltlich kaum zu beschreiben. Es sind die Figuren und die Sprache, die mich von einer Seite zur nächsten ziehen. Eine Hauptspannung dabei ist: Wohin wird mich die Autorin im nächsten Kapitel führen?, und diese Erwartungen werden belohnt, dreizehn Mal.
Zitate aus den weiteren Kapiteln sind Ausdruck, Handlung und Sprachkunst. Drei Beispiele, die bei mir Assoziationen und mein Weiterdenken ausgelöst haben:
„Ich räume auf. Der Kühlschrank brummt. Man hört ihn in der ganzen Wohnung, weil unter ihm eine Heizschlange durch das Parkett kriecht und die Schwingungen überträgt. Wir liebten Gegensätze, Stahlbeton und Heizschlange, heute denke ich anders darüber.“
„Die fruchtbaren Tage sind vorbei, sagt sie, die furchtbaren kommen noch. Oder auch nicht! Und wer weiß, was aus einem eigenen Kind geworden wäre, fruchtbar liegt in der deutschen Sprache so nahe am Abgrund, dass die Position des Buchstaben R einen solchen Bedeutungswandel vornehmen kann.“
„Da habe ich mich also auf die Psychoschiene begeben, um den Gewerbeschein für eine therapeutische Praxis zu erlangen, wo Worte Klärung bringen müssen, und nun sollen wir uns einen basalen Ausdruck aussetzen: Bitte grunzen!“
Das orangefarbene Bändchen ist für die Lese-Pausen ein Nebengenuss aus der Druckerei, aus dem Verlag, ebenso das grafisch wunderbar gestaltete Buch und der Schutzumschlag mit aussagekräftigen Beschreibungen. Daniela Strigl bringt es auf der Rückseite im Punkt auf den Punkt: „Lydia Mischkulnig beherrscht die Kunst, Witz und Irritation zu vermählen.“
Die Gemochten stehen im Dezember 2022 auf Platz 7 in der ORF-Bestenliste und ab jetzt auch im kleinen Regal meiner Lieblingsbücher in meinem Schreibbüro. Es ist kein Frauenbuch, denke ich und höre schon die Diskussionen, was denn diese Klassifizierung soll – egal, die überwiegenden Passagen sind aus der Sicht einer Frau geschrieben und das gefällt mir gut.