Sebastian Barry: Ein langer, langer Weg
Autorin/Autor: Barry, Sebastian
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Willie Dunne wird am Ende des Jahres 1896 als Sohn eines hohen Polizeioffiziers in Dublin geboren. Irland ist Teil des British Empire.
Die Knaben Europas, die zu jener Zeit geboren wurden, Russen, Franzosen, Belgier, Serben, Iren, Engländer, Schotten, Waliser, Italiener, Preußen, Bayern, Österreicher, Türken – und Kanadier, Australier, Amerikaner, Zulu, Gurkha, Kosaken und all die anderen –, ihrer aller Schicksal stand in einem grausamen Kapitel im Buch des Lebens geschrieben. […] alle sollten sie zermahlen werden von den Mühlsteinen eines kommenden Krieges.
Nach Willie bringt seine Mutter noch drei Töchter zur Welt, bei der Geburt der jüngsten stirbt sie. Übrig bleibt der Vater mit seinen drei Kindern, um die er sich mit aller Liebe kümmert. Als William beginnt, die Welt um sich herum genauer zu betrachten, erkennt er, dass sein Vater als Repräsentant der britischen Besatzungsmacht, als solche werden sie von den Iren gesehen, gegen den Wunsch seiner irischen Landsleute nach Freiheit steht.
Das Versprechen der Briten, dass die Teilnahme der jungen irischen Männer am Krieg gegen das Deutsche Reich für Irland die Unabhängigkeit bringen würde, veranlasst auch Willie, sich zur Armee zu melden. So wird er einer der Royal Dublin Fusiliers.
Willies Existenz und Welt reduzieren sich, angekommen mit seiner Einheit zu Beginn des Jahres 1915 an der Front in Frankreich und Belgien, auf den Schützengraben, auf das Warten auf die Verpflegungsrationen, auf die Soldaten, die rings um ihn sterben, ohne jemals gesehen zu haben, wer ihnen das Leben nahm, auf den Tod, der sich in giftigen Wolken über alles legt, das nicht rechtzeitig flehen kann. Kein Gedanke auf rasche Heimkehr, keine Aussicht, dem Inferno jemals wieder zu entkommen.
Als er endlich Heimaturlaub bekommt, gerät er mitten hinein in den Osteraufstand 1916 in Dublin. In welch eine Lage er da gerät. Iren, die die Unabhängigkeit erkämpfen wollen, schießen auf Iren, die im Dienst der Briten stehen. Mitten im Weltkrieg eröffnet sich in seiner Heimat eine weitere Front. Für Willie ist es nur eine kurze Episode, denn rasch wird seine Einheit wieder auf den Kontinent, an die Front verlegt. Aber diese Episode reicht aus, um sich nachhaltig in seinen Gedanken festzusetzen.
Diese beiden langen Wege sind es, die im Titel des Buches finden: der lange Weg durch den 1. Weltkrieg, den nur wenige bis zu seinem Ende überleben werden; und der lange Weg der Iren in ihre Unabhängigkeit.
Der Krieg, wie er ist
Direkt und authentisch sind die Beschreibungen Sebastian Barrys vom Krieg, von der Angst und der Einsamkeit in den Schützengräben. Man könnte es als kühl und sachlich bezeichnen, wie Barry über den Kriegsalltag schreibt, wie die Männer einem Schicksal ausgeliefert sind, das andere für sie bestimmt haben. Noch einmal eindrucksvoller sind jene Abschnitte, in denen Barry schreibt, wie Willie Dunne im Schützengraben sitzt und hinter einer Gasmaske darauf vertrauen muss, dass der Tod über ihn hinwegzieht. Wenn diese Gasmaske nur für einen Millimeter nicht genau sitzt, dann wird das Gas eindringen und er wird einer derjenigen sein, die sich im Todeskampf wälzen, unrettbar verloren.
Dann gibt es sie hin und wieder, die Momente, in denen sich Willie und seine Kameraden weit weg vom Krieg fühlen, wenn sie für ein paar Stunden oder Tage aus dem Schützengraben zurück in die Etappe verlegt werden. Dann ist es wie Euphorie, die sich an den allerkleinsten Freuden entzündet.
Viele Iren im Speziellen sind wegen des stärker werdenden Widerstandsgeistes in der Heimat dazu zerrissen zwischen ihrem Pflichtbewusstsein gegenüber den Kameraden an der Front und den Gefühlen für das Schicksal ihrer Familien und Freunde in Irland. Denn unter den Iren herrscht keine Einigkeit, ob man den Aufstand gutheißen oder ablehnen soll (eine Trennlinie, die heute noch in Nordirland das Leben bestimmt).
Es ist ein Antikriegs-Roman, der keine Aspekte des Grauens auslässt.
Ob es denn nötig ist, so sehr in Details zu blicken und ob das nicht nur dazu dient, ein sensationsgieriges Publikum zufriedenzustellen? Dann und wann drängt sich diese Frage wirklich auf, doch am Ende ist es für mich so, dass es genauso sein musste, weil es alles noch glaubhafter, erschreckender, entsetzlicher erscheinen lässt. Weil damit sichtbar wird, dass jene, die in den Kampf geschickt werden, keine Perspektive haben, denn sie wissen nicht, wie lange sie dort bleiben müssen. Weil nur auf diese Weise eine Korrektur und Richtigstellung zu den Videospiel-ähnlichen Bildern von „modernen“ Kriegen zu schaffen ist.
Nein, wie es wirklich ist, wenn man sich selbst mitten im Krieg befindet, lässt sich damit natürlich nicht nachvollziehen. Aber es ist eine Annäherung, die eine Ahnung davon aufkommen lässt.
Damit ist der Roman auch eine mächtige Anklage gegen alle, die Kriege beginnen.
„A Long, Long Way“ stand auf Longlist zum Bookerpreis 2005.