Buchbesprechung/Rezension:

David Hewson: Garten der Engel

Garten der Engel
verfasst am 28.02.2023 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Hewson, David
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
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Kaum noch jemand ist am Leben, um als Zeitzeuge von den Jahren zu berichten, in denen Europa und die ganze Welt in Gewalt und Tod versanken.

Dabei sind es genau jene Zeitzeugen, die aus eigener Erinnerung das berichten können, was mit den vergehenden Jahren immer weniger Menschen interessiert, ja immer mehr sogar abstreiten, dass es überhaupt geschah. Das Vergessen, Verklären und Umdeuten ist eine weit verbreitete Eigenschaft, viel zu viele Leute gibt es, die fordern, „dass man die Vergangenheit endlichen ruhen lassen solle“ und dass „man sich heute keine Schuld einreden lassen wolle“ (was im Übrigen auch niemand tut).

Wer sich aber der Vergangenheit nicht bewusst ist, kann leicht Anzeichen übersehen, wenn das Gedankengut, das die Weltkriege, den Holocaust und millionenfachen Mord hervorbrachte, wieder erstarkt. (und dass dem so ist, sehen wir bei jeder Wahl, bei der Rechtspopulisten und Rechtsextremisten Stimmen bekommen).

Das alles führt direkt zur Handlung des Romanes:

Paolo Uccello, Nicos Großvater, ist ein solcher Zeitzeuge aus der Zeit des Faschismus in Italien und der Besetzung durch die Deutschen. Damals, das war in Venedig im Herbst des Jahres 1943 und Paolo ein junger Mann, der gerade bei einem Bombenangriff seine Eltern verloren hatte. Mussolini war aus Rom verjagt worden und hatte als Hitlers Marionette in Norditalien die Republik von Saló ausgerufen. Wie würde die Zukunft aussehen, zwischen den von Süden her langsam heranrückenden Alliierten Truppen, den deutschen Besatzern, den italienischen Kollaborateuren und Verrätern und den Widerstandskämpfern.

Mehr als fünfzig Jahre später vermacht Paolo seinem Enkel seine Aufzeichnungen. Es ist das Vermächtnis des Großvaters, der weiß, dass er am Ende seines Lebens angekommen ist.

Man liest, quasi gemeinsam mit Nico, eine Geschichte, die vieles zugleich ist: ergreifend und bedrückend, hoffnungsvoll und voller Ängste.

Weil in der Lagunenstadt vieles die Jahre beinahe unverändert überdauert, kann Nico die Orte, die Plätze, die Gebäude und Straßen aufsuchen, alles mit eigenen Augen sehen, worüber der Großvater schrieb. Selbst die alte Schreibmaschine, man erkennt die Letter, die sich in das Papier geprägt haben, steht noch da, in Großvaters Zimmer. Es sind oft noch dieselben Pflastersteine, über die Nico heute geht, die Farben an den Wänden mögen auch noch so sein, wie damals, überall kann man die zurückliegende Zeit sehen und fühlen, wenn man nur weiß, was sich dort zutrug, wenn man nur genau hinsieht. Es sind neue Blickwinkel, aus denen Nico bekannte Dinge nun ganz anders sieht.

Man liest, wie es dazu kommt, dass der 18-jährige Paolo zwei Widerstandskämpfer, die Geschwister Mika und Giovanni Artom, in seinem Haus versteckt. Die Deutschen, die SS, sind gerade dabei, die in Venedig lebenden Juden zu erfassen, um sie in den Osten, in die Vernichtungslager zu deportieren. Noch mehr Spitzel, noch mehr Soldaten auf den Straßen, während die Geschwister bei Paolo Unterschlupf finden und damit noch mehr Gefahr, entdeckt zu werden.

Wie an unzähligen anderen Orten bestimmte die SS auch in Venedig ein bekanntes Mitglied der jüdischen Gemeinde zu deren Vorstand, mit dem Auftrag, Listen mit den Namen allen Juden der Stadt zu erstellen. Ein skrupelloses, perfides Spiel, dem Doktor Diamante, der früher anerkannter Chirurg war, bevor alle Juden aus ihren Positionen entfernt wurden, nur eines entgegenhalten kann: Zeit; sich so lange wie möglich damit Zeit zu lassen, den Deutschen die geforderten Informationen zu liefern.

Doch die Besatzer warten nicht nur einfach, bis sie die Listen erhalten. Mit Salvatore Bruno trifft ein berüchtigter „Judenjäger“ in Venedig ein, der das Identifizieren der Juden in der Stadt beschleunigen soll. Salvatore Bruno ist nicht nur ein Jäger im Auftrag der Nazis, sondern auch selbst ein vorrangiges Ziel der Widerstandskämpfer und überstand schon mehrere Anschläge.

Leben in Zeiten von Willkür und Gewalt

Nico führt als Erzähler durch das Buch und mit ihm gemeinsam kann man als Leser:in miterleben, wie es ist, aus der Erinnerung eines anderen auch etwas für sich selbst zu erfahren. Meistens wissen wir wenig über unsere Vorfahren, wissen vor allem wenig über ihr Leben in dieser dunklen Zeit. Denn wie wir wissen, wollten die meisten damals, als es endlich vorbei war, einfach nur mehr vergessen, sich nicht mehr an das erinnern, was sie gesehen hatten und wovon sie wussten und was sie taten.

David Hewson erweckt für seinen Roman Ereignisse zum Leben, die zwar reine Fiktion sind, in ihrem Bezug zur Realität aber wie wirkliche Erinnerungen wirken. Nicht nur in Venedig, auch an unzähligen anderen Orten wird sich unter der Terrorherrschaft der Faschisten und der Nationalsozialisten ähnliches zugetragen haben.

Es ist davon zu lesen, wie es gewesen sein muss, der Gewalt der Besatzer hilflos ausgeliefert zu sein, wie es sich angefühlt haben mag zu wissen, dass man sein Leben verlieren würde, ohne etwas dagegen tun zu können, wie es Menschen gab, die mit jeder Faser seines Körpers versuchten, sich gegen die Gewaltherrscherseher aufzulehnen.

Ein großartiger Roman, der perfekt und enorm dramatisch den historischen Hintergrund mit vielen, ganz unterschiedlichen Einzelschicksalen verbindet … und über allem liegt eine stetig ansteigende Spannung, die daraus zusätzlich auch noch einen packenden Thriller macht.

Einen sehr wichtigen Anteil daran hat, das möchte ich betonen, die Übersetzung von Birgit Salzmann, der es gelingt, alle die Stimmungen und Gefühle so treffsicher wiederzugeben, dass man beim Lesen unweigerlich Teil des Geschehens wird.

„Garten der Engel“ ist auf Krimibestenliste von Deutschlandfunk Kultur im April 2023




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