Joseph Roth: Die Geschichte von der 1002. Nacht
Autorin/Autor: Roth, Joseph
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Der Schah von Persien ist überaus gelangweilt. Mit den 365 Frauen in seinem Harem findet er längst nicht mehr sein Auslangen, weshalb er sich auf Brautschau nach Europa begibt; nach Wien, weil dort waren ein paar Jahre zuvor auch schon die Türken „zu Gast“.
Das ist der Beginn einer Satire, die in Gestalt eines Märchens daher kommt.
In Wien angekommen, gerät das Blut des Schah angesichts der unverhüllten Gesichter alsbald in Wallung. Beim abendlichen Empfang, den seine Majestät, der Kaiser zu Ehren seines Gastes gibt, fällt der Blick des orientalischen Herrschers auf das Antlitz der Gräfin Helene W. Gemäß seiner Gewohnheit befiehlt der Schah seinem Großwesir, ihm eben jene Dame noch am selben Abend zuzuführen.
Die Unruhe, die dieses Begehren allseits auslöst, kann man sich vorstellen. Die Beamten und Würdenträger des Wiener Hofes ringen um eine Lösung: es muss etwas gefunden werden, das der Hofetikette, der Staatsräson, den Wünschen des Gastes und der Sprache der Diplomatie zu gleichen Teilen gerecht wird. Den Kaiser indes, der von der Verwicklung nichts ahnt, wagt man zwecks einer Entscheidung nicht zu behelligen.
Welche ein Glück, dass in der Gestalt des Rittmeisters Alois Franz Baron von Taittinger die Rettung nahe ist. Der Baron ist während des Empfanges anwesend und hat die Lösung zur Hand. Zufällig ist ihm die Mizzi Schinagl bekannt, die der Gräfin wie aus dem Gesicht geschnitten ist und überdies schon berufsmäßig mit verschiedenen Herren zu tun hat. Das Etablissement, in dem die Mizzi quasi „ordiniert“ wird in Windeseile zu einem orientalischen Stadtpalais umdekoriert, Mizzi wird als Gräfin ausstaffiert und instruiert und der Schah endlich zu gewünschten Tete-a-Tete geleitet. Taittinger trifft damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Der Moral ist Genüge getan und außerdem ist er selbst heimlich in die Gräfin, die zudem auch noch verheiratet ist, verliebt und verhindert so, dass die Dame seines Herzens entehrt wird. Jetzt ist es übrigens angebracht zu erwähnen, dass Tattinger mit der Mizzi einen Sohn hat, aus einer länger zurückliegenden Liaison. Ein paar Jahre später wird sich herausstellen, dass der Bub ziemlich missraten ist und ihm, dem Baron, und auch der Mizzi reichlich Sorgen bereiten wird.
Alles ist gut gegangen, die Ehre der Gräfin bewahrt und der Schah zufriedengestellt. Wäre es das Ende der Geschichte, wäre damit alles in bester Ordnung. Denn, welch eine bedauernswerte Wendung, der Schah wurde mit seinem Stelldichein mit der angeblichen Gräfin gar nicht glücklich. Er lässt der Dame/Mizzi ein äußerst wertvolles Präsent (es ist, so munkelt man, eine grandiose Perlenkette, die einige zehntausend Gulden einbringen kann) überbringen. Taittinger wird zurück nach Schlesien abkommandiert und vergeht dort in Liebeskummer. Mizzi währenddessen wird zu einer kleinen Berühmtheit (denn wer außer ihr hat in Wien mit dem Schah …) und verfügt nun über ein bislang undenkbares Vermögen.
Doch wo Geld ist, dort zieht es die Unehrlichen und die Gauner hin – also in die Nähe von Mizzi, die mangels Erfahrung nicht unterscheiden kann zwischen Wohlwollen und Falschheit jener Herren, die sie umschwärmen. So muss es kommen, dass sie nichtsahnend und gutgläubig in sinistre Geschäfte verstrickt wird. Ein vermeintlicher Liebhaber zieht mit ihrem Geld einen großangelegten Schwindel auf und weil Mizzi ohne es zu lesen ganz vertrauensselig alles Mögliche unterschrieben hat, landet sie als Komplizin Gefängnis. In ihrer Not wendet sie sich an den Baron Taittinger, dem das zunächst aber gar nicht genehm ist, denn dass er einen Brief erhält, der aus dem Gefängnis kommt – was sollen die Kameraden denken? Hochnotpeinlich könnt‘ das werden, wenn alle erfahren, welche Leut‘ er kennt.
Weil danach ein paar recht unerquickliche Ereignisse eintreten, bekommt die Presse Wind von der Sache; denn immerhin ist das alles – direkt oder indirekt – die Folge des wertvollen Geschenkes des Schahs. Es ist dann der Redakteur Bernhard Lazik, der daraus gleich eine ganze Serie von Artikeln macht. Dabei könnte er dabei doch gleich seinen Traum, lieber wäre er Dichter geworden, ausleben. Macht er aber nicht, sondern beschließt, die involvierten Herrschaften aus der guten Gesellschaft ein wenig zur Kasse zu bitten. Woraus eine sehr fatale Affäre wird, das muss man schon sagen, und Tattingers Leben ordentlich in Turbulenzen gerät.
Joseph Roths Roman erschien erst im Jahr 1939, nach dem Tod des Autors. Den siedelt er irgendwann in den 1880er-Jahren an und damit quasi in der guten alten Zeit, als Etikette und Traditionen so etwas wie das Gerüst der Monarchie bildeten. Dem sittenstrengen Kaiser leisten seine Beamten stets vorauseilenden Gehorsam und sie sind allesamt Meister der feinen diplomatischen Klinge. Denn letztendlich geht es bei allem Unternehmen doch nur darum, dass sich alle wohlfühlen und kein Schatten der Unzufriedenheit auf Kaiser und Hof und damit auf Österreich fällt.
Auch wenn die zugrundeliegende Geschichte – ein Herrscher meint, dass er sich nehmen kann, was er aus eine Laune heraus möchte und ist überzeugt, dass ihm solches aus gottgegebenen Gründen zusteht – nicht sehr erbauend ist, so schaffen es die Sprache und die umsichtige gesponnene Handlung des Romanes, durchwegs für beste Unterhaltung zu sorgen.
In einer sehr geglückten Mischung aus orientalischem Märchen, Aschenputtel, Dornröschen, Gaunerkomödie, Satire über die Traditionen und Standesdünkel und Verwechslungsgeschichte aus der Donaumonarchie macht sich Joseph Roth über diese „gute alte Zeit“ sehr gekonnt lustig, lässt aber dabei noch genug Platz für uns Österreicher, die wir uns damals (und auch heute noch?) sehr gerne mithilfe der Kaiser-Folklore eine heile Operetten-Welt vorstellten.
Wohl an, nun denn: „Die Geschichte von der 1002. Nacht“ ist ein Roman von Joseph Roth, der etwas aus der Reihe seiner anderen Werke heraussticht. Alleine die Weltfremdheit des Baron Taittinger ist schon eine großartige und höchst amüsante Geschichte darüber, wie wenig Ahnung solche durch ihre Herkunft privilegierte Leute wie er vom wirklichen Leben haben.
So kommt es zum Schluss, wie es kommen musste: Wie es der ganzen Monarchie erging, so mag es auch Leuten wie dem Taittinger gehen: Wer zu lange in seiner Operetten-Welt lebt, wird am Ende untergehen.