Luis Stabauer: Ahrer oder Der erkämpfte Traum
Autorin/Autor: Stabauer, Luis
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Wir leben (es ist das Jahr 2023) in einer Zeit, in der in vielen westlichen Demokratien die Anzahl der Menschen stetig größer wird, die einen autokratischen Führer an der Spitze sehen möchten und in der die Despoten in immer mehr Ländern die Kontrolle übernommen haben und alles versuchen, sich dauerhaft an der Macht zu halten.
Ein Blick in die Zeit, als es auch bei uns in Österreich eine Diktatur gab, als vielen Menschen genau das ertragen mussten, was ihre Nachfahren sich heute wünschen, ist gleichermaßen angebracht wie wichtig, um zu erfahren, was es heißt, nicht frei sprechen zu können, jederzeit von der Polizei verhaftet und aus politischen Gründen sogar hingerichtet werden zu können.
Luis Stabauer rekonstruiert Leben und Tod von Josef Ahrer, der in Steyr im Februar 1934 auf besonders unmenschliche Art hingerichtet wurde, weil er angeblich zwei Mitglieder der Heimwehren ermordet hätte. Es war die Zeit des Austrofaschismus, als die Demokratie ausgeschaltet war und die Heimwehr unter deren Führer Ernst Rüdiger Starhemberg alle Gegner des von Dollfuß gegründeten Ständestaates verfolgte. Starhemberg war auch derjenige, der Josefs Hinrichtung befahl.
Der Tod des damals 25-jährigen Sozialdemokraten ist der Ausgangspunkt für die Erzählung, die auf den fiktiven Tagebucheintragungen von Maria, Josefs jüngerer Schwester, und auf den Aufzeichnungen von Josè ihrem Sohn und Josefs Neffen, basiert.
Maria verlässt dieses Österreich, in dem die Austrofaschisten fest im Sattel sitzen und in dem jede abweichende Aussage lebensbedrohend werden kann. Sie bricht alleine nach Uruguay auf und findet schon auf der Schiffspassage dorthin den Mann ihres Lebens, ihr Sohn José kommt neun Monate später zur Welt. Doch auch Südamerika ist nicht weit genug entfernt, um das hinter sich zu lassen, vor dem sie geflohen ist. Noch einmal kreuzt Starhemberg ihren Lebensweg und auch die Militärjunta des Landes verfolgt die gleiche faschistische Ideologie wie Dollfuß und nach ihm Schuschnigg in Österreich. Erneut ermorden Faschisten einen Menschen, den sie liebt – diesmal ihren Mann Pino.
Die Erzählung verknüpft die Jahre des faschistischen Regimes in Österreich in den 1930ern mit der rechtsgerichteten Militärdiktatur in Uruguay in den Jahren 1973 bis 1985 und weiter mit den aktuellen Ereignissen in Österreich in den 2020ern. Der in den Jahren 2010 bis 2015 amtierende Präsident José Alberto Mujica Cordano ist in Stabauers Erzählung der Sohn von Maria und Pino.
Man liest eine sehr fein verwobene Mischung aus Realität und Fiktion. Luis Stabauer lässt dabei die Grenzen verschwimmen zwischen dem, was sich in unserem Land und in Südamerika ereignete und zwischen historischen Ereignissen und Erdachtem. Das geht so weit, dass man am Ende vielleicht nicht mehr ganz sicher ist, ob das Fiktionale wirklich nur den Gedanken des Autors entsprungen ist.
Wenn Josè schließlich den Weg in die alte Heimat seiner Mutter findet, dann ist er nun ein Warner und Mahner vor den sich anbahnenden Tendenzen hin zu einer – wie man es in Europa so treffend bezeichnet „Orbanisierung“ des Landes. Wenn jugendliche Kanzler im Verein mit vermeintlichen Rettern des Industriestandortes Steyr russischen Einfluss durch die Hintertüre einschleusen (Wer in Steyr lebt, wird wissen, worum es dabei geht, alle anderen erfahren es im Buch).
Das zusammen ergibt ein sehr eindrucksvolles Bild und eine wirklich eindrucksvolle Erzählung über die Auseinandersetzungen, die das 20. Jahrhundert prägten und die in unserer Gegenwart wieder aufflammen – weil die Menschen aus der Geschichte nichts lernen können oder wollen, weil der Wahn von den „Starken Führern“ nicht verschwindet.
PS: Wie die Zeit des Austrofaschismus in den Köpfen von Menschen noch heutzutage völlig falsch beurteilt und sogar verklärt wird, zeigt ein Beispiel aus dem Herbst des Jahres 2022: in der niederösterreichischen Stadt Mank lehnten es der Stadtrat und Teile der Bevölkerung ab, einen nach Engelbert Dollfuß benannten Platz umzubenennen, weil man die Lage „erst bewerten“ müsse. „90 Jahre vergangen und nichts gelernt“ muss man dazu sagen und bleibt ansonsten sprachlos angesichts derartiger Ignoranz.