Buchbesprechung/Rezension:

Peter Longerich: Die Sportpalast-Rede 1943
Goebbels und der »totale Krieg«

Die Sportpalast-Rede 1943
verfasst am 16.02.2023 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Longerich, Peter
Genre:
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Neben den Filmaufnahmen von den Parteitagen der NSDAP in Nürnberg mit den bombastischen Inszenierungen zählen die Bilder von Goebbels` Rede im Sportpalast am 18. Februar 1943 sicher zu den bekanntesten Beispielen für die Propagandamaschinerie der Nazis – und dem aufgepeitschten Fanatismus der Menschenmassen.

Die Vorgeschichte, die Nachwirkungen und die historische Einordnung sind die Themen dieses Buches des Historikers Peter Longerich. Die Goebbels-Tagebücher (teilweise mit wörtlichen Zitaten daraus), dessen Notizen über die inneren Vorgänge in den Führungszirkeln des Regimes und die allgemeine militärische Entwicklung sind seine Hauptquellen.

Im ersten Abschnitt des Buches ist nachzulesen, wie sich im Laufe der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1942 die Rückschläge der deutschen Armeen an allen Fronten auf die Stimmung in der Bevölkerung und damit auf die Stoßrichtung der Propaganda auswirkten. Zudem wurde in dieser Zeit im Ausland immer klarer, dass die Nazis hunderttausende Juden ermordeten, wodurch das Regime auch im Inneren unter Druck geriet und reagieren musste.

So sehr das alles aus der Sicht von Hitler und seinen Gefolgsleuten negative Entwicklungen waren, so sehr war es für Goebbels doch DIE Gelegenheit, seinem „heißgeliebten Führer“ endlich beweisen zu können, dass er für das Regime unverzichtbar war. Zunehmend übernahm der Propagandaminister die Führungsrolle und gab bei der absoluten Mobilisierung der Bevölkerung und der Ausrichtung der gesamten Wirtschaft die Richtung vor. Aus den zitierten Passagen aus den Tagebüchern lässt sich die wechselhafte Stimmungslage sehr klar ersehen.

Dabei ist auch nachzulesen, was der „Totale Krieg“ – als Begriff wurde zwar nicht von Goebbels erfunden, aber von ihm in den Alltag der Deutschen eingebracht – wirklich bedeuten sollte. Arbeitsverpflichtung für Frauen, Schließung aller nicht-kriegswichtigen Einrichtungen, so viele Männer wie möglich an die Fronten, um die enormen Löste an Menschenleben auszugleichen, noch härteres Vorgehen gegen skeptische Stimmen, noch schneller Deportation von Juden in die Vernichtungslager im Osten und noch einiges mehr. Dank Goebbels „Geschwätzigkeit“ in seinen privaten Aufzeichnungen lässt sich gerade diese Phase, in der er noch mehr schrieb als sonst, besonders deutlich nachvollziehen.

Mit der Vernichtung der 6. Armee in Stalingrad war der Zeitpunkt gekommen, an dem man die Bevölkerung endgültig darauf einstimmen musste, dass ab sofort nicht mehr um einen schnellen Sieg, sondern um einen Abwehrkampf ging, in dem sich die Deutschen gegen den Untergang wehren mussten. Das ging Hand in Hand mit der schon oft geübten Umkehrung der Tatsachen, mit Deutschland als Opfer und allen anderen als Aggressoren. Nachzulesen ist, wie die Propaganda Schritt für Schritt jene Wahrheit über die Kriegslage enthüllte, die man der Bevölkerung zuvor wochenlang verschwiegen hatte. Als die Nachricht von der endgültigen Kapitulation in Stalingrad (am 2. Februar) publik wurde, war die Zeit für Goebbels` Auftritt gekommen.

Eine Rede als Symbol für das verbrecherische System der Nazis

Der zweite Abschnitt des Buches beinhaltet die Niederschrift der Rede vom 18.2.1943 (übrigens innerhalb von wenigen Tagen die zweite Rede am selben Ort) samt Erläuterungen. In diesen Erläuterungen findet man auch Erklärungen zu in der Rede angesprochen Bezügen zu damals aktuellen Vorgängen, deren Hintergrund man ansonsten heute kaum kennen würde. Die Filmaufnahmen davon, wie die Menschen wie im Fieber aufsprangen und den rechten Arm hochstreckten, sind beim Lesen dieses Kapitel durchwegs präsent. Dabei muss man aber auch wissen, dass das Publikum quasi handverlesen war und großteils aus besonders eifrigen Parteigenossen bestand. Diese Aufnahmen wurden damals in den Wochenschauen im ganzen Land gezeigt.

Man liest die Worte und man hört und sieht Goebbels brüllen und wie die Menschen sich fanatisiert mitreißen ließen. Es war eine richtig gehende Welle, die schon in Massenhysterie umschlug, die alle, die damals im Sportpalast anwesend waren, erfasste. Man liest, wie Goebbels unter begeisterten Zurufen das Deutsche Reich als alleinigen Retter des Abendlandes gegen den Bolschewismus stilisiert und man liest über den geifernden Antisemitismus, der hinter allem eine jüdische Weltverschwörung sieht –  der Redner hat keinerlei Hemmungen, jede Wahrheit in das genaue Gegenteil zu verkehren und die Menge stimmt tobend zu.

Letztendlich ist es das Muster für alle Populisten und Demagogen bis heute, die immer das gleiche Schema anwenden: einen gemeinsamen Feind benennen, aus einem kleinen Körnchen Wahrheit und einem großen Brocken Lüge eine Geschichte zusammenzimmern, um die Menschen glauben zu lassen, man hätte die Lösung gefunden, und wie einfach diese Lösung doch ist. Wer sich heute dieser Methoden bedient, das lässt sich aus den Nachrichten entnehmen. Und wie sehr sich Menschen davon einfangen lassen, das lässt sich an den Wahlergebnissen ablesen, die auf der ganzen Welt die Rechtspopulisten immer wieder an die Macht hieven.

Zu der rein historischen Zusammenfassung stellt Peter Longerich im dritten Abschnitt die Analysen der realen Auswirkungen und der realen Bedeutung dieser Rede: Was geschah danach, wie wirkte sich dieser „Totale Krieg“ auf jeden einzelnen aus, welche noch weiter gehenden Verbrechen, noch weiter gehend und noch brutaler als zuvor, wurden unter dieser Prämisse quasi legalisiert, was änderte sich im Inneren Nazideutschlands. Dazu lässt sich der permanente Kampf der Nazi-Propaganda um die Meinungsführerschaft nachvollziehen, wie die Meldungen über die immer klarer werdenden Niederlagen, die trotz aller Gegenmaßnahmen über ausländischen Nachrichten nach Deutschland kamen, in einen Nutzen für das Regime umgemünzt werden sollten. Weiters ist über die Reaktionen des Auslandes auf die Rede zu lesen und, sehr ausführlich, wie Goebbels selbst seinen Auftritt bewertete. Es zeigt sich, dass Goebbels in seiner Bewertung des vermeintlichen Triumphs und der erzielten Wirkung auf die Stimmung in der Bevölkerung sichtlich in seiner eigenen Propaganda-Blase gefangen war.

Peter Longerichs Buch „Die Sportpalast-Rede 1943“ ist ein tiefer und detailreicher Blick direkt in die Denkweise und das Agieren von Goebbels wie auch der gesamten Führungskaste der Nazis.  Es geht zwar nur um eine Rede von vielen, doch in Wirkung, Entstehungsgeschichte und Umsetzung hebt sich diese Rede von den anderen ab.

Die Rede, die mit der hinaus geschrienen Frage „Wollt Ihr den Totalen Krieg?“ genauso berüchtigt wie berühmt wurde, ist ein Beispiel, wie professionelle Agitatoren vorgehen, ganz gleich wie abstoßend, widerwärtig oder unmenschlich der Inhalt ist. In gewisser, absurder Weise war diese zweistündige Rede für Goebbels und die Nazis ein „Erfolg“, denn man kann davon ausgehen, dass die damit und im zeitlichen Umfeld begonnenen Maßnahmen den Krieg um mehrere Monate verlängerten – und damit Millionen zusätzliche Opfer forderten.




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