Buchbesprechung/Rezension:

Rainer Wittkamp: Mit aller Macht

Mit aller Macht
verfasst am 15.02.2023 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Wittkamp, Rainer
Genre:
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Die Geschichte von Vater und Sohn, die unabhängig voneinander in ganz ähnliche Lebensläufe gerieten. Der eine, Vater Fritz Wernicke, wird noch in der Zeit der Weimarer Republik, durch eine Reihe von Zufällen zum Scharfrichter.

Der andere, Sohn Peter Körber, wächst in der DDR auf, wird zum unkritischen Anhänger des Regimes und nimmt die Rolle des Scharfrichters an, als sie ihm als Ausweg angeboten wird.

Der Vater wird in der Zeit des Nationalsozialismus zum viel beschäftigen Henker, eine bald nicht mehr überschaubare Anzahl an Nazi-Gegnern stirbt durch seine Hand. Tag für Tag, wie am Fließband. Selbst die Amerikaner übernehmen ihn, nach dem Ende des Krieges, als den erfahrensten Mann seines Berufsstandes in ihre Dienste.

Der Sohn weiß nichts vom seinem Vater, den er nie kannte, wuchs bei seiner Tante auf und wurde von ihr und deren Ehemann adoptiert. Peter steigt nach seiner Ausbildung schnell die Karriereleiter im SED-Staat hinauf, absolviert eine Akademie, scheint auf dem Weg an die Spitze, bis ihm etwas passiert, das in der DDR sofortige Ächtung und den Ausschluss aus Gesellschaft und Karriere nach sich zieht.

In diesen Abschnitten hat auch Erich Mielke mehrere Auftritte, die diesen Mann wirklich außerordentlich treffend charakterisieren. Mielke, das war jener gewissenlose Fanatiker, der als Minister für Staatssicherheit für die schlimmen Verbrechen (mit) verantwortlich war – bekannt/berüchtigt ist seine letzte „Ich liebe doch alle„-Rede vor der DDR-Volkskammer

Es macht es den Eindruck, als würde sich das Bild der DDR in den Köpfen der Menschen langsam verklären – Ostalgie ist das Wort dazu. Dabei war die DDR ein Unrechtsstaat, in dem Menschen drangsaliert, eingesperrt und ermordet wurden, alles nach der Willkür einer Macht, der Sowjetunion und deren Handlanger SED, die in freier Wahl niemals in die Regierung gewählt worden wäre. Und überall auf der Welt werden diejenigen mehr, die die Fakten aus der Zeit des Nationalsozialismus anzweifeln, schlicht leugnen oder relativieren.

Beides beweist, dass Erinnern bei viel zu vielen Menschen etwas ist, das mit der Zeit verblasst oder umgedeutet oder verklärt wird. Bis hin zur Leugnung unbestreitbarer und x-fach belegter Fakten

Mit der Gegenüberstellung von zwei einander sehr ähnlichen Ausschnitten aus zwei Diktaturen auf deutschen Boden wird diese Erinnerung auf ungewohnte Weise erneuert. Diesmal nicht mit historischen Ereignissen, sondern am Beispiel der Henker, der Vollstrecker der Menschenverachtung zweier Regime, man wirft einen Blick aus ungewohnter Perspektive auf das Geschehen in zwei, in vielen Bereichen sehr ähnlichen, Systemen.

Wie Menschen aufgrund ganz unterschiedlicher Ereignisse den Weg der Menschlichkeit verließen und sich von der Welle der Propaganda und der Angepasstheit mitreißen ließen. Wie sie lange der Meinung waren, dass sie das Richtige tun, dass ihr „Handwerk“ einem humanistischen Ziel diente und im Sinne der Allgemeinheit einfach notwendig und gerechtfertigt wäre. So entstanden – und entstehen bis heute – die Handlanger von Despoten, die sich mehr und mehr in Fanatismus steigern und kaum zulassen, dass sie selbst oder jemand anders ihre Handlungen infrage stellt oder darüber nachdenkt.

Es bedarf keiner sprachlichen Kunststücke, es ist einfach eine geradlinige Erzählung, mit der zwei, zwar fiktive, aber überaus glaubhaft dargestellte, Lebensläufe so viel über die Zeit des Nationalsozialismus und der SED-Herrschaft enthüllen.

Eine sehr beeindruckende Bearbeitung des Stoffes von Rainer Wittkamp, der diesen leider nicht mehr selbst vollenden konnte, er verstarb unerwartet im Jahr 2020. Die Finalisierung und nunmehrige Veröffentlichung sind ausnehmend gut gelungen.




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