Eugen Ruge: Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna
Autorin/Autor: Ruge, Eugen
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Die vielen unverkennbaren Parallelen zwischen Ruges Erzählung über die letzten Tages Pompejis und unserem heutigen Tanz auf dem Vulkan bestimmen diesen Roman.
Was Ruge über diese Jahre in der Blütezeit des Römischen Reiches zu sagen hat, das lässt sich – man muss nur ein paar Überschriften anpassen – auszugsweise auch über jedes beliebiges Jahr des 21. Jahrhunderts berichten.
Welche der zahllosen Bedrohungen der jüngeren Vergangenheit – Klimawandel, Corona, Kriege – man auch heranziehen möchte, überall traf und trifft man die gleichen Typen und die gleichen Vorgänge. Da gibt es die Mahner und Warner, denen die Geschäftemacher und Besitzstandwahrer sogleich alles von Übertreibung bis Erfindung von Gefahren vorwerfen. Dann die Lauthals-Schreier, die meinen, alles zu wissen. Die Mitläufer, die dorthin folgen, wo es ihnen am opportun erscheint. Und man trifft in Ruges Pompeji auch auf die Prepper, die sich für die Apokalypse rüsten, und die Hippies, die auf der Suche nach dem wahren Leben sind.
Durch die Jahre, Monate, Woche und Tage vor dem Untertagens begleitet man den jungen Josse. Ein Straßenjunge, der, die Zufälle führen ihn dorthin, zu einem derjenigen wird, die vor dem Berg warnen, der die Stadt Pompeji überragt. Der Monte Somma, das ist ein Vulkan und das Beben ein paar Jahre zuvor, war nur ein Vorbote. Männer, die sich mehr darüber wissen als Josse, sind davon überzeugt, dass die toten Vögel auf den Berghängen, die ausgetrockneten Brunnen, die schwefeligen Dämpfe, die manchen schon das Leben kosteten, nichts anderes als der Beweis sind, dass Pompeji in Gefahr ist. Dass es dann nicht der Monte Somma, sondern der zu jener Zeit noch kleinere Vesuv war, der mit seinem Ausbruch im Jahr 79 n. Chr. die Stadt unter seiner Asche begrubt, ist nur ein Detail, das für die Handlung des Romans recht unbedeutend ist.
Josse versteht die Warnungen, er macht sich das Wissen der Gelehrten zu eigen und versucht die Menschen dazu zu bewegen, sich auf die drohende Gefahr einzustellen. Doch dem Versuch, Menschenleben zu retten, stehen handfeste politische und wirtschaftliche Interessen entgegen.
Als nach dem Beben, das Pompeji im Jahr 62 n. Chr. zu großen Teilen zerstört hatte, die Stadt wieder aufgebaut wurde, fand, so schreibt es Eugen Ruge, das statt, was immer geschieht, wenn es eine Katastrophe gab und gibt. Ein paar Geschäftemacher reißen die ertragreichsten Brocken an sich, die Preise steigen und wer daran verdient, unternimmt alles, um niemand anders teilhaben zu lassen. Kommt dann einer und versucht die einfachen Leute davon zu überzeugen, dass sie in Gefahr sind, dann muss so einem das Handwerk gelegt werden. Denn wenn die Leute die Stadt verlassen, dann ist es auch mit der Geschäftemacherei vorbei. Also in den Kerker mit dem Aufrührer, vielleicht den Kopf abschlagen, ihm alle möglichen Untaten vorwerfen und wenn das nicht funktioniert, ihn bestechen oder verführen. War das so in Pompeji im Jahr 79? Ja vielleicht; aber ganz sicher ist es: der Lauf der Welt heute.
So erzählt Eugen Ruge etwas über unsere Gegenwart, während er über Josse und Pompeji schreibt. Diese Parabel auf den Zustand unserer Zivilisation ist die verfeinerte Form, Missstände und Fehlentwicklungen aufzuzeigen, ohne das Betroffene direkt zu erwähnen. Das überlässt der Autor seinen Leserinnen und Lesern und es wird ihm wohl meistens gelingen, dass uns passende Ereignisse der Jetztzeit in den Sinn kommen. Mir jedenfalls erging es so beim Lesen.
Nicht ganz glücklich bin ich über die oft recht ungestümen Szenenwechsel und die mit an einigen Stellen zu verschlungenen und ausufernden Schilderungen mancher Details. Davon abgesehen ist es Eugen Ruge aber wirklich treffend gelungen, das Geschehen unserer Gegenwart zurückzuversetzen in eine Zeit, von der wir wissen, dass sie in einer Katastrophe endete.
Heute finden wir unter den Bergen von Asche und Gestein die oft beinahe unversehrten Hinterlassenschaften der Römer und wir sehen auch die Umrisse von Menschen im Moment ihres Todes. Da kann ich nicht anders, als daran zu denken, was man von uns in zweitausend Jahren finden wird und was man dann über unsere Zeit denken wird.