Cay Rademacher: Stille Sainte-Victoire
Ein Provence-Krimi mit Capitaine Roger Blanc (10)
Autorin/Autor: Rademacher, Cay
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Zwillinge sind in Krimis ein gerne und oft verwendetes Motiv und eröffnen immer neue Möglichkeiten für den Aufbau einer spannenden Story. Im zehnten Fall von Capitaine Roger Blanc hat das Mordopfer einen Zwillingsbruder und die beiden sehen einander tatsächlich unglaublich ähnlich.
Am Tag des Verbrechens tragen beide sogar den gleichen Hut und befinden sich beide in derselben Gegend. Was also aus der großen Palette an möglichen Verwicklungen führte zum Tod des einen Zwillingsbruders?
Mit dem Ort des Verbrechens führt Autor Cay Rademacher seine Leserinnen und Leser – man kann sagen: wie man es in seinen Krimis erwarten kann – an einen weiteren besonderen Ort in der Provence, in das Kalksteingebirge Sainte-Victoire. Rund um den Gipfel des Mont Sainte-Victoire breitet sich ein Naturschutzgebiet aus, das zudem auch eine ergiebige Fundstätte für Dinosaurierfossilien ist. Hier gräbt schon seit einigen Jahren der Paläontologe Christian Dallest nach alten Knochen. In diesem Jahr hält sich auch sein Zwillingsbruder Roland hier auf, der als Ingenieur den nahegelegenen Staudamm der Bimont-Talsperre überprüfen soll. Einer der beiden wird Opfer eines Verbrechens, bei dem sich von Anfang an auch eine Frage stell: ist der richtige Bruder gestorben?
Angelangt in der Mitte des Buches haben Roger Blanc, sein Team und die Leserinnen und Leser gemeinsam, dass wir alle viel erfahren haben, aber nichts wissen. Wobei: eine gewisse Ahnung von Ausgang könnte man schon haben, denn natürlich sind auch schon kleine Hinweise darauf zu finden, wenn man sie nicht überliest …
Charakteristisch für Rademachers Provence-Krimis ist die Reise durch immer neue Ecken im Süden Frankreichs. Ich man mir es bildlich vorstellen, wie er auf der Suche nach neuen Locations umherreist und dabei auch selbst immer mehr über seine Wahlheimat erfährt – ob es wirklich so ist, weiß ich natürlich nicht, passen würde es ….
Im Ergebnis ist es Sightseeing mit Krimispannung (oder umgekehrt), eine Kombination, die mir seit dem ersten Roger Blanc-Roman ausnehmend gut gefällt. Denn es macht zusammen aus, dass man die Atmosphäre im Süden Frankreich wirklich miterleben kann und die ganze Reihe einen unverwechselbaren Charakter entwickelt hat.
Abgerundet wird alles durch die Menschen, mit denen Roger Blanc seine Tage verbringt. Seine Nachbarin Pauline, mit der er nach einige Zeit zusammengefunden hat; seine Kollegin Fabienne, die unermüdlich daran arbeitet, ein Kind zu bekommen; sein Kollege und Freund Marius, mit dem ihn blindes Verstehen verbindet; seine frühere Geliebte Aveline, mit der ihn eine noch immer knisternde Zusammenarbeit verbindet. Sie alle und viele weitere hat man schon kennengelernt und mit jedem Roman lernt man neue Facetten zu deren Persönlichkeiten kennen.
In „Stille Sainte-Victoire“ bewegt man sich also einerseits auf vertrautem Terrain, betritt aber auch neue Regionen und erfährt dazu eine ganze Menge über die Wissenschaft der Paläontologie, über die Erforschung von Dinosauriern und darüber, dass daraus schon ein richtig gehender Geschäftszweig wurde. Viel Geld ist im Spiel und eine gehörige Portion an Neid und Missgunst zwischen den Wissenschaftlern. Wo also ist das Motiv für den Mord zu suchen? Eifersucht, Geldgier, Rache, Rivalität? Und das alles zusätzlich zu der Frage, welcher der Zwillingsbrüder denn eigentlich ermordet werden sollte und ob der überlebende weiterhin in Gefahr ist.
Der Roman lebt weniger von einer dramatischen Story als vielmehr von einer sehr detail- und kenntnisreichen Beschreibung von Menschen und Landschaften. Eine Art Wohlfühlkrimi und daran können auch die Toten (ja, es werden mehr) nichts ändern.
Nur eines verwirrt mich in diesem Roman ein wenig: Roger Blanc lebt seit einem dreiviertel Jahr – so steht es auf Seite 67 – in der Provence. Wie ist sich in diesem Zeitraum alles (Kriminalfälle, Liebesaffären, etc.) aus den nun zehn Bänden, inkl. Coronazeit ausgegangen?