Robert Seethaler: Das Café ohne Namen
Autorin/Autor: Seethaler, Robert
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Es gibt sie noch in Wien, vereinzelt, die Grätzl, in denen man einander kennt, wo kleine Geschäfte die Straßen mit Leben erfüllen, wo die alten Gebäude aus der Gründerzeit renoviert anstatt durch neue, dann oft leerstehende Wohnblocks ersetzt wurden.
In den Bezirken rund um die Wiener Innenstadt, die früher eigene Dörfer vor den Toren der Stadt waren, trifft man abseits der Touristenzentren auf solche Inseln der Nostalgie. Ein Grund, warum es nicht mehr viele solcher Grätzl gibt ist, dass die kleinen Geschäfte, in denen man alles für das Leben kaufen konnte, durch Supermärkte verdrängt wurden und zurückblieben oft leere Lokale und vom Staub der Jahrzehnte blinde Fenster.
In den 1960er Jahren sah es noch anders aus und genau dorthin führt Robert Seethaler mit diesem Roman. Als Robert Simon sich seinen lange gehegten Traum erfüllt und aus einem heruntergekommenen Gasthaus ein Café macht, das sich zum Mittelpunkt des Grätzls mausert. Zwar hat Robert keine Ahnung, wie man Wirt ist, aber mit dem, was er sich für sich selbst vorstellt, schafft das Richtige, die die Menschen in sein Lokal zieht. Dass das Café keinen Namen hat, das vergisst man bald, denn stattdessen hat es die Atmosphäre, in der sich alle wiederfinden können.
Robert Simon renoviert alles selbst, langsam wagen sich immer mehr Gäste ins Lokal und bald hat er mit Mila, die gerade ihre Arbeit in der Textilfabrik verloren hat, eine Hilfe zur Seite, die so wie Robert, genau den Ton findet, mit dem die Menschen angesprochen werden möchten.
Eine ruhige Erzählung, die abschnittsweise so etwas wie Entspannung und Behaglichkeit vermittelt. Es mag zwar kein Lokal sein, in das man einkehren würde, wenn man zufällig dort vorbeikommt, aber es ist die Stimmung, die Schilderung der Alltäglichkeiten, ja so etwas wie Geborgenheit, die einen umfangen könnte, wenn man doch eintritt. Das Café ohne Namen wird, dort in der Nähe des Karmelitermarktes liegt es, mitten im 2. Bezirk in Wien, der zentrale Treffpunkt für die, die in der Gegend wohnen oder die, die hier arbeiten.
Es treffen hier alle die Typen zusammen, die man kennt, die Neugierigen, die Lauten, die Leisen und die, die für sich alleine bleiben wollen. Liebe und Gleichgültigkeit findet man, Einsamkeit und Sorgen sieht man ebenso wie Unglück und Angst vor der Zukunft.
Es ist ein Roman, der sich, mir fällt gerade keine bessere Beschreibung ein, wie von selbst liest. Die Seiten fliegen nur so dahin und man sitzt irgendwann selbst an einem der Tische und hört und sieht, was Robert und Mila und alle die anderen hören und sehen.
So wie es aufwärts geht, so endet es auch irgendwann. Erste Vorboten der dramatischen Änderungen, die die Grätzl in Wien und damit auch deren gewachsene Gemeinschaften hinwegfegen werden, sind die zahlreicher werdenden Supermärkte, die den kleinen Geschäften um die Ecke das Geschäft wegnehmen. Dann folgen die Immobilienspekulationen, alte Häuser werden aufgekauft, Neues muss entstehen.
Mit „Das Café ohne Namen“ hat Robert Seethaler einen berührenden und unglaublich einnehmenden Roman über den Wandel des Lebens geschrieben. Die 1960er- und 1970er Jahren brachten nicht nur die 68-Generation hervor, die entscheidende Änderungen in unserer Gesellschaft bewirkte, sondern veränderten auch still, weniger laut und weniger merkbar, die Struktur unserer Städte dauerhaft. Das Kleine und Persönliche verschwand viel zu oft und das Große und Massentaugliche entstand an den Rändern.
Heute gibt es viele, die sich diese alten Strukturen zurückwünschen, da und dort haben Menschen wie Robert Simon schon wieder begonnen, die verloren gegangene Atmosphäre in die (Innen)Städte zurückzubringen.
Ein toller Lesestoff und ein besonderes Leseerlebnis.
Der obigen Rezension habe ich nicht mehr viel hinzuzufügen. Mich hat das Buch sehr berührt, es schien fast unmöglich, mit dem Lesen aufzuhören. Die Protagonisten waren nach kurzer Zeit fast wie alte Bekannte. Sie wuchsen mir so ans Herz, dass ich unbedingt schnell lesen musste, um an ihrem Leben teilzunehmen. Ein Hauch von Wehmut und Mitgefühl für die Schicksale der Menschen, die der Autor wunderbar schildert, hat mich beim Lesen begleitet. Wien, wie es einmal war – Seethaler schildert das wunderbar realistisch.
Es war ein wahres Lesevergnügen.