Christian Klinger: Die Geister von Triest
Gaetano Lamprecht ermittelt (2)
Autorin/Autor: Klinger, Christian
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Gaetano Lamprecht, der radfahrende Inspektor der Polizei in Triest, blieb bis jetzt davon verschont, zum Militär eingezogen zu werden. Wie lange ihm das noch erspart bleiben wird, ist unklar, rund um ihn brechen die jungen Männer voller Kriegs-Euphorie an ihre Einsatzorte auf.
Mitte August 1914:
Nach dem Attentat auf der österreichischen Thronfolger befindet sich das Kaiserreich seit Ende des vergangenen Monats im Krieg. Bei den Ereignissen, die dem Attentat folgten, spielte Gaetano eine entscheidende Rolle, dass es nicht schon einen Monat früher zu Auseinandersetzungen in Triest gekommen war. Ein Monat ist seither vergangen und die Verhältnisse in Triest, in ganz Europa haben sich in davor undenkbarer Weise geändert.
Das erste Kapitel verrät, dass es der Ispettore mit einem Fall zu tun bekommen wird, der seinen Ursprung weit in der Vergangenheit hat. Was sich damals zutrug: Zuerst Wien, die Hauptstadt der Donaumonarchie; dann reist der noch Unbekannte an die Hafenstadt am Meer, im Gepäck hat er Gegenstände von immensem Wert. Von hier aus soll die Reise mit einem Schiff weitergehen, doch dazu kommt es nicht mehr. Der unbekannte Reisende, der viel zu vertrauensselig von seinem Schatz erzählt, wird ermordet. Was er hinterlässt, bleibt über Jahrhunderte verborgen, denn auch von der letzten Person, die er um Hilfe bittet, wird er betrogen.
Dieses erste Kapitel ist für mich eine sehr gut gelungene „Ouvertüre“ zum zweiten Fall mit Gaetano Lamprecht (Dazu muss man wissen, dass sich dieser Kriminalfall tatsächlich im Jahr 1768 ereignete).
Der Mord
„Hexe von Cologna“, so jedenfalls wurde Signora Franciulo in ihrem Viertel genannt und jetzt ist sie tot. Zuerst erwürgt und dann mit unzähligen Schnitten am ganzen Körper verunstaltet – es ist offensichtlich mehr als ein gewöhnlicher Mordfall, mit dem es Gaetano zu tun hat. Dazu ist das Haus der Toten ist ein Ort, der von den Menschen aus Aberglauben gemieden wird, was es schwer macht, Zeugen der Tat zu finden.
Dennoch ist ein erster Verdächtiger bald ausgemacht – ein Mann namens Lodovico Biecher gibt an, dass er der Neffe der Toten wäre. Ein vertrauensseliger und zugleich übereifriger Polizist gibt sich mit dieser Auskunft zufrieden und lässt den Mann gehen: Das bedeutet unnötige Zusatzarbeit für Gaetano, dem es danach nicht gelingt, Biecher an den bekannten Adressen aufzustöbern.
Auch abgesehen vom Mord ist gesamte Angelegenheit seltsam. Wie war es Signora Franciulo möglich gewesen, das Haus zu kaufen; warum hatte ihre Tochter Flora gleich nach dem Mord ihre Stellung gekündigt und war in das Haus der Mutter gezogen? Woher stammt das Geld, von dem die Frauen leben?
Gaetano kommt bei seinen Ermittlungen nicht weiter und geht ein Wagnis ein. Da die Polizei sehr unter Personalmangel leidet, bittet er seine Schwester Adina, ihm in diesem Fall zu helfen. Adina nämlich hatte nämlich eine Zeit lang damit zu tun, sich eines aufdringlichen Verehrers zu erwehren; der ist nun aber genau jener Mann, den Gaetano im Zusammenhang mit dem Mord sucht.
Noch ist der Krieg weit weg
Was mir wirklich sehr gut gefällt ist, dass die Beschreibung der Verhältnisse im August 1914 nicht die ganze Dimension des Krieges vorwegnimmt, die sich ja erst viel später herausstellt. Christian Klinger beschreibt sehr nachvollziehbar die zu diesem Zeitpunkt herrschende Einschätzung durch die Menschen; genau so könnte es sich angefühlt haben, wenn man das Ausmaß der Katastrophe, die sich da soeben auftürmt, noch nicht erkennt, aber vielleicht schon erahnt. Zwischen Begeisterung und Angst zeigen sich in der Bevölkerung alle Emotionen – das macht auch vor Gateanos Familie nicht halt.
Ein ganz entscheidender Aspekt bestimmt diese ersten Monate des 1. Weltkrieges: noch sind Italien und Österreich-Ungarn Verbündete. Noch fast ein Jahr lang wird dieser Zustand anhalten. Das führt dazu, dass in der Stadt Triest eine trügerische Ruhe vorhält, dass ein großer Teil des Lebens weitergeht, als ob es keinen Krieg gäbe; abgesehen von der Versorgungslage, die sich durch den Griff des Militärs auf immer mehr Bereiche zusehends verschlechtert.
Dennoch: der Krieg rückt immer näher an Gaetano heran, als er ein Schreiben des Militärkommandos erhält; es war zu erwarten für einen jungen Mann seines Alters. Zu der Herausforderung, einen Mörder zu finden, kommt nun die Herausforderung, die Einberufung so lange wie möglich hinauszuschieben. Da jetzt italienische Nationalisten in Triest, der Stadt, die doch in Wahrheit seit Jahrhunderten Heimat vieler Nationen ist, ihre Aktivitäten verstärken, um Triest an Italien anzuschließen, wird er auch hier weiterhin gebraucht. Denn die Polizei hat schon sehr viele Männer an die Armee verloren und soll mit weniger Leuten jetzt nicht nur Verbrechen aufklären, sondern auch die Aufrührer unter Kontrolle halten.
Im Verhalten der Menschen bemerkt man die Anspannung, die über allem liegt und der sich niemand entziehen kann. Auch bei Gaetanos mehren sich die Zeichen von Ungeduld und die Nervosität, wenn er immer öfter unvermittelt unwirsch, ja zornig wird oder ungerecht und weit überzogen reagiert; was ihn aber nicht daran hindert, zur selben Zeit gleich mehreren amourösen Interessen nachzugehen.
Christian Klinger erzählt in „Die Geister von Triest“ zwei Geschichten parallel: zum einen den Mordfall und zum anderen den Alltag ab dem Sommer 1914, wobei der Kriminalfall abschnittsweise in den Hintergrund tritt. Bestimmender Teil dieses Alltages sind der Krieg und ihm die Erzählungen der Heimkehrer. Als einer von Gaetanos Kollegen wegen einer Verwundung zurückkehrt und von seinen Erfahrungen an der Ostfront berichtet, wird der Krieg auch für die Daheimgebliebenen in brutaler Weise gegenwärtig.
PS: „Die Geister von Triest“ ist der zweite Roman der Krimireihe mit Gaetano Lamprecht. Da einige Geschichten aus dem ersten Roman jetzt weitererzählt werden, empfiehlt es sich, „Ein Giro in Triest“ zuerst zu lesen. Der Handlung kann man aber auch ohne diese „Vorkenntnisse“ gut folgen.
Wieder ein Meisterwerk aus der Feder eines der meisten unterschätzten Autoren dieses Landes. Chapeau!