Buchbesprechung/Rezension:

Colson Whitehead: Die Regeln des Spiels

Die Regeln des Spiels
verfasst am 17.09.2023 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Whitehead, Colson
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
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Rund ein Jahrzehnt nach dem Geschehen in „Harlem Shuffle“ (erschienen im Jahr 2021) ist die Handlung in der Fortsetzung „Die Regeln des Spiels“ angesiedelt. Ray Carney, über dessen Werdegang man im ersten Teil lesen konnte, ist jetzt in den 1970er-Jahren in der Lage, für sich und seine Familie ein sorgenfreies Leben zu garantieren.

Seine Nebentätigkeit als Hehler hat er beendet, Geld genug hat er damit verdient, um sich auch in den kommenden Jahren keine finanziellen Sorgen machte zu müssen. Was ihm bleibt, das ist sein Möbelgeschäft, das ihm auch weiterhin als so etwas wie die offizielle Fassade für seinen Wohlstand dient.

Nun ist es aber leider so, dass dieser Zustand der kriminellen Abstinenz nur vier Jahre lang anhält. Wenn man jemanden um einen Gefallen bittet, dann muss man eben auch damit rechnen, dass ein Gegengefallen eingefordert wird. Um an Tickets für seine Tochter zum längst ausverkauften Konzert der Jackson Five im Madison Square Garden zu kommen, muss sich Ray auf einen Deal mit Detective Munson einlassen. Man kennt sich, noch aus der Hehler-Zeit, als Ray dem Detective einen wöchentlichen Anteil an den illegalen Geschäften auszahlte.

New York ist in den 1970er-Jahren ein Ort voller Kriminalität und Korruption. Die Hautfarbe ist noch weitaus mehr als heute ein trennender Faktor, Stadtviertel, Nachbarschaften, Freundeskreise definieren sich darüber. Schwarze Bürgerrechtsgruppen liefern sich eine stetige und blutige Auseinandersetzung mit den Behörden, Extremismus und ausufernde Gewalt sind alltäglich, wenn man dabei an die Vorstufe zu einem Bürgerkrieg denkt, ist das nicht allzu abwegig. Schwarze und Weißen nebeneinander, miteinander, ebenbürtig zu sehen ist ein noch immer ungewohntes Bild.

Inmitten dieser Jahre voller Unruhe und Umwälzung jongliert Ray Carney sein Leben zwischen seinen legalen und seinen illegalen Aktivitäten.

Rückgrat des Romanes sind die, ich bin versucht zu schreiben: unzähligen Biografien derjenigen, die Rays Wege kreuzen und die oft viele Jahre zurückliegenden Szene, wie es überhaupt zu der Begegnung kam. Allein das ist schon ein bemerkenswerter kreativer Aufwand, so viele Menschen zu literarischem Leben zu erwecken, alle mit Lebenslauf, Gewohnheiten und Träumen ausgestattet. Doch dieser Aufwand lohnte sich, denn damit wird die Atmosphäre der 1970er (und der Jahre davor) erst so richtig greifbar – mit einer ganzen Reihe von beim Lesen reaktivierten Erinnerungen über die damaligen Verhältnisse auch bei uns; anders gesagt, es sind jedenfalls aus den späten 1970ern ein paar Jugenderinnerungen bei mir wieder aufgetaucht …

In Harlem war es natürlich anders als in Wien (wo ich damals lebte), dort waren die Gangster bedeutende Bürger, die Cops skrupelloser, die Hinterhöfe dreckiger, ganze Straßenzüge wurde beinahe zu Slums und die Schießeisen saßen lockerer. Alles wussten, wann es Zeit war, wegzusehen und wem gegenüber man höflich zu sein hatte.

Das alles beschreibt Colson Whitehead virtuos, wenn auch manchmal etwas zu weitschweifig. Aufmerksames Lesen ist angesagt, wenn es im nächsten Absatz unvermittelt um ein paar Jahre in die Vergangenheit reist und wenig später wieder in die Gegenwart des Romanes zurückkehrt.  Was dem zweifachen Pulitzer-Preisträger wie immer in seinen Romanen gelingt, ist die unvergleichliche Darstellung der Lebensrealitäten in den USA, im Speziellen die der Menschen afroamerikanischer Abstammung.

Man merkt dann, dass sich zwar einiges geändert hat, seit den Zeiten der Sklaverei, dass aber noch lange nicht die Rede davon sein kann, dass Menschen unterschiedlicher Hautfarbe zusammenleben; sie leben bestenfalls nebeneinander. Wie das im Alltag des Jahres 2023 aussieht, das zeigen uns die regelmäßig eintreffenden Berichte über Polizeiübergriffe, Verbrechensstatistiken und Waffengewalt in den USA.

Ray Carney erhält in diesem Roman die Rolle des Jungen aus Harlem, der in seinem Versuch, dem kriminellen Untergrund zu entfliehen, immer wieder durch schon beinahe obskur zu nennende Zufälle gehindert wird. Dabei geht es, wenn auch meist durch die Sprache etwas abgemildert, recht brutal zu, hat zugleich aber auch etwas von Slapstick.

In Summe finde ich den Roman etwas zu überladen, mit allzu vielen Nebenschauplätzen und Nebendarstellern (meistens, denn NebendarstellerINNEN finden sich kaum).  Damit fehlt mir in „Die Regeln des Spiels“ einigen von der Dichte und Brisanz und Dramatik, wie sie in „Underground Railroad“ und „Die Nickel Boys“ zu finden sind. Das ist aber auch die Last des Verfassers von großartigen Büchern: wenn dann eines nachkommt, das nicht ganz so großartig ist, werden Erwartungen nicht erfüllt.




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