Benjamin Stevenson: Irgendwen haben wir doch alle auf dem Gewissen
Die mörderischen Cunninghams (1)
Autorin/Autor: Stevenson, Benjamin
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Wer glaubt, dass die eigene Familie manchmal etwas anstrengend ist, sollte sich einmal die Cunninghams ansehen: danach wird man froh sein, nicht mit DENEN verwandt zu sein.
Denn diese Cunninghams sind quasi das Paradebeispiel einer schrägen Familie. Es gibt unter ihnen Mörder (viele, mehr als in einer durchschnittlichen Familie), einen Anwalt, eine suspendierte Chirurgin, einen Autor, eine Pedantin und eine nachtragende Mutter. Dazu ein paar angeheiratete Anhängsel, die sich mit einem Auftreten zwischen unauffällig und forsch in die, nennen wir sie „Stamm-Familienmannschaft“, einfügen.
Alle diese Leute finden sich nun in einem Skiresort (ja, so etwas gibt es wirklich in Australien) zusammen, um im Rahmen einer Familienfeier die Freilassung von einem der ihren aus dem Gefängnis zu feiern.
Als Leserinnen und Leser haben wir einen Reporter direkt vor Ort: Ernest Cunningham, aus nachvollziehbaren Gründen in Ungnade gefallener Sohn, berichtet über das, was geschieht. Wobei berichten wirklich die völlig korrekte Bezeichnung ist, denn Ernest „Ernie“ plaudert mit uns. Dabei merkt man, dass er von Beruf Autor von Büchern ist, in den zukünftige Autoren lernen, wie man Krimis schreibt. Denn Ernie berichtet so, dass man irgendwann auch die verwirrendsten Verwirrungen versteht. :-)
Es ist zwar nicht „Shining“ und das „Overlook-Hotel„, aber Seltsames ereignet sich dennoch. Ähnlichkeiten zum Horrorklassiker finden sich in einem Schneesturm und in der Abgeschiedenheit des eingeschneiten Resorts, wesentlich unterscheidet sich die Geschichte des Cunningham-Familientreffens insofern, als sich viele Leute am Ort des Geschehens aufhalten und dass darunter sogar ein Polizist ist.
Es geht dann bald los mit dem Fund eines Toten. Ein Unbekannter, ermordet, dessen Entdeckung mit der Ankunft von Michael Cunningham, dem Sohn, der soeben aus dem Gefängnis kommt, zusammenfällt. Michael bringt sich leider gleich mit einer kleinen, aber bedeutsame Unwahrheit in Schwierigkeiten.
Zugegeben, am Anfang ist es mit den vielen Namen und Erklärungen etwas verwirrend. Aber Ernie, ganz gewissenhafter Erzähler, liefert nach und nach die fehlenden Details, ja er ist sogar so freundlich, nach ein paar Kapiteln eine Zusammenfassung des bis dahin Geschehenen zu schreiben. Das ist nett und sehr hilfreich.
Weil Ernie dazu noch eine sehr lockere Erzählweise beherrscht, ist der Krimi von Anfang an ausgesprochen vergnüglich. Manchmal könnte man meinen, dass er sich verplaudert, also zu viel von dem verrät, was noch kommen wird, aber es stellt sich heraus, dass man sich dadurch zwar darauf vorbereiten kann, was noch passiert, was aber keineswegs die Überraschung mindert.
Nachdem man mit Ernies Hilfe die diversen Familienverhältnisse einigermaßen ein- und zugeordnet hat, kann man sich der Story widmen; in der wird die Lage mit jeder Seite zugleich klarer und undurchsichtiger.
Was ich als besonders gut gelungen finde ist, wie sich – recht oft – Erwähnungen von kleinen Details ein paar Seiten später als bedeutsam für das gesamte Geschehen herausstellen; oder eine ausstehende Erklärung nachliefern. Es schließt sich also immer wieder ein neuer Kreis, während andere Kreise noch dabei sind, die Kurve zu kriegen. :-)
Bei alledem muss man sich immer wieder eine Sache in Erinnerung rufen: zu Beginn hatte Ernie versprochen, uns immer die Wahrheit zu sagen (besser gesagt: aufzuschreiben). Aber ob alles die Wahrheit ist, was er hört und uns 1:1 wiedergibt, das ist dann möglicherweise – vielleicht – eventuell doch eine ganz andere Sache. Aber wer weiß das schon … ?
Hinter der flott erzählten Geschichte versteckt sich auch noch ein ganz klassischer Who-Dunnit Krimi. Auch das kündigt Ernie mehrfach an und kommt zwischendurch auch mehrmals darauf zurück.
Viele Hinweise, viele davon wird man erst am Ende als solche erkennen, führen zu einem Finale, ganz in der Tradition der Krimiklassiker. Ernie hat also auf den ersten Seiten des Buches nicht zu viel versprochen. Wie Benjamin Stevenson die kleinen, aber wichtigen Details wieder in Erinnerung ruft, wenn sich am Ende alles in einem völlig logischen Finale auflöst – das erinnert an eine Szenerie, in der man sich auch Agatha Christies Hercule Poirot vorstellen könnte …
In Summe GROSSARTIG, finde ich.