Michel Jean (Hrsg.): Wapke: Wapke
Autorin/Autor: Jean, Michel
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Geschichten vom „Morgen“: Wapke heißt „morgen“ in der Sprache der First Nation der Atikamekw, auf dem heutigen Staatsgebiet von Kanada.
Ein Buch mit einer Sammlung von Kurzgeschichten von Autorinnen und Autoren aus einer dieser First Nations, die eine Zukunft beschreiben. Zwischen Science Fiction, Endzeit, Fantasy angesiedelt scheinen viele dieser Geschichten die verlorene Zukunft der Menschen, die vor der Ankunft der Europäer den Kontinent besiedelten, weiterzuschreiben.
Denn es sind zum großen Teil Visionen einer Zukunft, in der das Leben, wie wir es heute kennen, einer anderen Form der Existenz gewichen sind. Ob es die Welt nach einer umfassenden Naturkatastrophe ist, in der nur wenige überlebt haben; oder eine Zukunft, in der die persönlichen Freiheiten verloren sind.
Vielleicht schreiben die vielen düsteren Zukunftsperspektiven das Schicksal, das die indigenen Völker nach der Ankunft der Europäer erlitten. Denn man liest auch, wie nach dem Untergang der Zivilisation gerade jene Menschen, die naturverbundenen Vorfahren nachkommen, diese neue Welt ohne die Bequemlichkeiten und die Technik am besten meistern.
Ich meine viel der im Gedächtnis der Menschen tief verankerten Erinnerungen an die vergangene Lebensweise herauslesen zu können, vereint mit Sehnsucht nach einem Leben nahe der Natur und im Einklang mit den Jahreszeiten. Was wahrscheinlich auch einen gehörigen Anteil an verklärender Romantik beinhaltet, ist zugleich auch der Wunsch nach einer Abkehr vom durchgetakteten Leben der Gegenwart. Vielfach erzählen die Zukunftsgeschichten von mehr Rückbesinnung auf einfache Werte und sinnreichen Begegnungen mit anderen, anstatt inhaltsleerer Kurznachrichten.
Erschienen im Pandemiejahr 2021 beziehen sich einige der Storys auch auf die damalige Einschränkung der Freiheiten und projizieren daraus eine mögliche Big-Brother-ähnliche Zukunft. Das geht sogar so weit, dass in einer Geschichte der Premierminister Justin Trudeau putscht, um an der Macht zu bleiben.
Die vierzehn Autorinnen und Autoren haben Kurzgeschichten verfasst, die einander in ihren Grundgedanken sehr ähneln, daraus oft sehr ähnliche, aber auch sehr unterschiedliche Perspektiven für die Zukunft entwickeln. Würde nicht bei jeder Geschichte ein anderer Autorenname stehen, könnte man auch leicht annehmen, es wäre alles von einer Person geschrieben. Für eine Anthologie ungewöhnlich homogen und stilistisch sehr ähnlich.
Ein wiederkehrendes Thema ist die Untergleichbehandlung, die Unterdrückung, die Ausgrenzung und die Geringschätzung, also alles was, womit die autochthone Bevölkerung Kanadas nach wie vor konfrontiert ist.
Wenn es auch nicht in allen Geschichte explizit erwähnt wird oder Teil der Geschichte ist, so glaube ich doch zu erkennen, was die Seelen aller jener Menschen erfüllt, die Angehörige der First Nations sind: Die zuerst hier waren, werden auch die sein, die zuletzt hier sein werden, sie gestalten ihr Dasein im Vertrauen auf den Fortgang des Lebens auf der Welt und bauen auf die Erfahrungen ihrer Vorfahren.
In Summe überwiegen die pessimistischen Gedanken, es ist also meist keine schöne neue Welt, über die man lesen kann. Stattdessen eine Welt, die mit sich selbst kämpft, in der die Freiheit der Menschen und das Gleichgewicht der Natur auf dem Rückzug sind.
Kurzgeschichten, die Einblicke in die Seele einer ganzen Volksgruppe verschaffen.
Sehr empfehlenswert.