Tillmann Bendikowski: Himmel hilf!
Warum wir Halt in übernatürlichen Kräften suchen: Aberglaube und magisches Denken vom Mittelalter bis heute
Autorin/Autor: Bendikowski, Tillmann
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Glaube und Aberglaube waren und sind seit Jahrtausenden bestimmende Faktoren im Leben der Menschen und natürlich auch unserer ganzen Kultur. Wo es zwischen diesen beiden (und ob überhaupt) es eine Trennlinie gibt, kann man nicht bestimmen. Das war immer so und das wird wohl auch immer so bleiben, solange es Menschen gibt.
Ob man nun einer Religion zugehörig ist oder nicht, ist für die Lektüre dieses Buches nicht entscheidend. Denn sowohl im einen als auch im anderen Fall bekommt man einen historischen Überblick darüber, wie sich Glaube und Aberglaube im Laufe der Zeit veränderten.
Am Beispiel Medizin
Bei den vielen Berichten über tatsächlich erschreckende „Heilmethoden“ in den vergangenen Jahrhunderten kann man leicht übersehen, dass es medizinische Behandlung, auch im heutigen Sinn schon lange gibt (wenn natürlich auch mit früher viel bescheideneren Mitteln und Erfolgen).
Mich persönlich würde interessieren, wie viele derjenigen, die heutzutage an eine medizinische Wirksamkeit von Homöopathie glauben (die psychologische Wirksamkeit mag ich nicht abstreiten), irgendwelchen Kurspfuschern auf den Leim gehen, den Kopf schütteln, wenn sie über den medizinischen Aberglauben in den zurückliegenden Jahrhunderten lesen. Weil auch sie (hoffentlich) sehen, dass das alles gefährlicher Humbug war.
Man denke nur an die Jünger des Ryke Geert Hamer, der mit seiner „Neuen Germanischen Heilkunde“ nicht nur massenhaft Leben gefährdete, sondern damit auch antisemitisches Gedankengut förderte. Oder an Menschen, die daran glauben, dass Bleichmittel Krankheiten heilen können, nur weil irgendein „Influencer“ das predigt. Im Kapitel „Wundersam gesund“ liest man anhand der von Tillmann Bendikowski zusammengetragenen historischen Beispiele, wie sehr sich der Aberglaube und das oft fanatische Festhalten an solchen Irrwegen damals wie heute in den Köpfen vieler Menschen festsetzen.
Magische Heilungen und absurde Wundermittel waren zu allen Zeiten das Werkzeug von falschen Propheten und Betrügern.
Medizin ist nur ein Teil in der Welt des Aberglaubens
Dass Menschen mehr an Verschwörungen glauben oder selbsternannten Predigern auf den Leim gehen, je komplizierter und gefährlicher die Zeiten sind, ist eine allzu bekannte Tatsache. Zweifel an der Medizin und Glaube an Wunderheiler ist nur einer von vielen Aspekten, der aber natürlich im Zuge der Corona-Pandemie in den Vordergrund trat.
Viel zu viele Menschen verlieren aber seit jeher den Bezug zur Realität in allen möglichen Lebensbereichen, was – das extremste Beispiel dafür ist der Nationalsozialismus – dann auch Auswirkungen auf die realistisch denkende Mehrheit der Bevölkerung haben kann.
Tillmann Bendikowski hat für „Himmel hilf!“, man kennt das schon aus seinen bisher veröffentlichten Büchern, unglaubliche viele Fakten zusammengetragen. Es ist dann über bekannte und weniger bekannte Ereignisse zu lesen, über den Einfluss der Kirchen und wie die Religion oft selbst noch gegen den Aberglauben vorgehen musste, um nicht an Macht zu verlieren. Man liest darüber, wie sich Menschen immer wieder von Geschäftemachern und Demagogen beeinflussen ließen und wie das nicht nur Rückblicke auf Vergangenes sind, sondern alles auch Teil der Gegenwart ist.
Dramatisch ist, auch darauf geht Bendikowski ein, dass der Aberglaube, der sich heutzutage in Verschwörungstheorien (Chemtrails, Wissenschaftsfeindlichkeit, Bevölkerungsaustausch, geplante Pandemie, etc.) manifestiert, geeignet ist, sogar die Grundfesten unserer Demokratie zu erschüttern.
Ein Buch voller interessanter Details, jedoch mit einer für meinen Geschmack stellenweise recht unübersichtlichen Struktur. Man liest sehr viel über Vergangenes, aber mir persönlich fehlt eine umfangreichere Betrachtung der Gegenwart, in der – wir sehen, hören es tagtäglich – der gesamte Themenbereich vor allem durch die Verbreitung über Social-Media-Plattformen ein bedenkliches und gefährliches Ausmaß angenommen hat.
Denn immerhin heißt es doch im Untertitel “ … vom Mittelalter bis heute“.
PS: wie sehr Aberglaube ein überaus präsentes Thema ist, sieht man u. a. auch, wenn man auf den diversen Online-Buchhandlungen nach diesem Buch sucht. Als weitere Empfehlungen werden dann jede Menge Bücher über Heilsteine, Chakra, Essenzen und Öle angezeigt …