Stefan Haenni: Eiffels Schuld
Das größte Eisenbahnunglück der Schweiz
Autorin/Autor: Haenni, Stefan
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Gertie
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Stefan Haenni widmet dieses Buch Alexandre Gustave Eiffel zum 100. Todestag und den Opfern des Eisenbahnunglücks bei Münchenstein vom 14. Juni 1891, das 73 Tote und über 170 Verletzte gefordert hat, zum Gedenken.
Er spannt das Eisenbahnunglück zwischen Prolog und Epilog der Lebensgeschichte der Ida Gutzwiller Gysin , die 1961 ins Altersheim übersiedelt und zuvor ihrem Sohn Wilhelm eine alte Taschenuhr überreicht.
Wir haben es in diesem historischen Roman, in dessen Mittelpunkt eigentlich das Eisenbahnunglück vom 14. Juni 1891, stehen sollte, mit zwei Handlungssträngen zu tun.
„Eigentlich“ und „sollte“ deswegen, weil es einige Zeit, genauer gesagt 22 von 45 Kapitel, bis zu diesem Unglück dauert, und sich der Autor fast die Hälfte des Romans mit den Menschen von Münchenstein und Gustave Eiffel in Paris beschäftigt.
Da ist der Handlungsstrang rund um die fiktive Ida Gysin, die sich in Wilhelm Münch, den feschen Kondukteur der Jura- Simplon-Bahn verliebt und sich heimlich mit ihm verlobt hat. Dann verschwindet Wilhelm plötzlich. Es wird behauptet, er wäre nach Amerika ausgewandert, aber ein Streit mit einem Arbeitskollegen, der ihm den Posten neidet und das penetrante Umschwärmen Idas durch Karl, lassen eher an ein Verbrechen denken. Doch selbst der von Idas Vater engagierte Privatermittler findet keine Spur von ihm. Blöderweise ist Ida schwanger und muss dem drängendem Werben von Karl, einem technischen Zeichner im Büro ihres Vaters nachgeben, um sich und der Familie die Schande eines unehelichen Kindes zu ersparen. Anders als Wilhelm ist Karl im Haus Gysin herzlich willkommen.
Der zweite Handlungsstrang spielt vorrangig in Paris und dreht sich um Gustave Eiffel und seinen Mitarbeiter Maurice Koechlin . Die beiden arbeiten an der Idee eines stählernen Turms, der die Krönung der Weltausstellung von 1889 in Paris werden soll. Daneben gibt es Zores mit dem Panamakanal und zahlreiche Eisenbahnbrücken sind zu konstruieren und zu bauen. Darunter auch jene Brücke über die Birs. Die wird 1875 fertiggestellt.
Am 14. Juni 1891 werden die beiden Handlungsstränge im Eisenbahnunglück (endlich) zusammengeführt. Es ist ein schöner Sommertag und zahlreiche Reisende, darunter auch Ida, Karl und der kleine Willi, drängen sich in den Zug Nr. 174, der sie zum Bezirkssängerfest bringen soll. Wegen des großen Andrangs hängt man kurzerhand noch schnell zwei Waggons an und spannt eine zweite Lokomotive vor, um die hohe Last zu bewegen. Üblicherweise dauert die Fahrt rund 20 Minuten, doch der Zug wird den Bahnhof von Münchenstein, der bereits in Sichtweite ist, nicht mehr erreichen. Die Brücke gibt unter dem Gewicht der zweiten Lok und den nachfolgenden fünf Waggons nach
„Von der Brücke war nichts mehr zu sehen. Alexandre Gustave Eiffels Wunderwerk war untergegangen.“
Ida und Willi überleben die Katastrophe nahezu unverletzt. Von Karl fehlt jede Spur. Seine bis zur Unkenntlichkeit entstellte Leiche wird erst Wochen später gefunden. Ida erhält seine Taschenuhr.
Meine Meinung:
Leider bin ich von diesem Roman nicht wirklich begeistert.
Das beginnt schon beim Titel, der deplatziert ist. Das der Katastrophe folgende gerichtliche Nachspiel hat Gustave Eiffel von jeder Schuld freigesprochen, weshalb der Titel „Eiffels Schuld“ als Titel des Buchs nicht richtig erscheint. Alle anderen Beschuldigten gingen ebenfalls frei, obwohl hier wohl einige Zweifel angebracht bleiben. Die Schuldfrage wird im Prozess diskutiert, aber der Sachverständige laviert herum. Es ist wohl eher der Jura-Simplon-Eisenbahngesellschaft der Vorwurf zu machen, sich über zahlreiche Vorschriften hinweggesetzt zu haben.
Tatsache ist, dass wegen des großen Andrangs zu einem Fest zwei Waggons und eine tonnenschwere Lokomotive als Vorspann angehängt worden sind, obwohl die Brücke über die Birs durch einen Schaden am Widerlager eine solche (Zusatz)Belastung möglicherweise nicht standhalten würde. Auch die Geschwindigkeitsbeschränkung seit der Freigabe 1875 von 30 km/h wird nicht eingehalten. Man fährt also mit einem längeren, wesentlich schwereren Zug, in dem rund 500 Personen sitzen, mit höherer Geschwindigkeit über eine nicht ordentlich gewartete Brücke – und niemand hat Schuld an diesem Unglück. Der Gutachter spricht von 40 km/h Fahrtgeschwindigkeit und massiver Überbelastung.
Bei der Schilderung der Einvernahme durch den Staatsanwalt ist die einmalige Chance vertan worden, dem Gerichts- verfahren Leben einzuhauchen. Immerhin leistet die Jura-Simplon-Bahngesellschaft hohe Entschädigungszahlungen. Doch ein Schuldeingeständnis?
Der Schreibstil schwankt zwischen genauen technischen Beschreibungen, die mich als Technikerin und Eisenbahnfan jetzt nicht stören, aber Leser, die sich mit
„Querträgern, unteren Gurtungen, übereck reichende Flacheisen sowie Dreiecksverbände, die den nötigen Widerstand gegen Verschiebungen leisten.“
nicht auskennen, doch recht unsanft aus dem Lesefluss reißen und hölzern wirkenden Dialogen.
Vielleicht wäre es geschickter gewesen, die beiden Handlungsstränge zu entflechten und sowohl einen historischen Krimi als auch einen historischen Roman zu verfassen.
Die fiktive Geschichte rund um Wilhelm Münch, Ida Gysin und Karl Gutzwiller hätte für sich alleine Potenzial zu einem spannenden Krimi. Die Charaktere sind durchaus ausbaufähig. Die Rolle von Idas Vater erscheint mir nämlich ziemlich zwielichtig. Auch dass er Ersparnisse opfert, um den eigentlich gar nicht wirklich willkommenen Wilhelm durch einen Detektiv suchen zu lassen, erfüllt mich mit Argwohn. Das Motiv dahinter erschließt sich mir nicht. Welches Geheimnis verbindet ihn mit seinem Schwiegersohn? Ist er gar am Verschwinden von Wilhelm beteiligt?
Seine Grabrede bei Karls Beerdigung hat dafür schon ein wenig nach Großmannssucht:
»Mein Schwiegersohn Karl Gutzwiller hatte das Potenzial, ein zweiter Gustave Eiffel zu werden.«
Von Karls Fähigkeiten erfahren wir ja nichts Genaues. Leider geht das Zugunglück, das zu den schwersten in der Schweiz zählt, in der Geschichte rund um Ida, Wilhelm und Karl fast unter.
Das ist ziemlich schade, denn sowohl die Rettungs- und Bergungsaktionen sowie das nachfolgende Gerichtsverfahren sind sehr gut dokumentiert.
Schade, aber es ist, wie es ist.
Fazit:
Leider kann ich diesem historischen Roman nur knappe 3 Sterne geben. Die Gründe sind oben genannt.