Alexandra Bleyer: Napoleon
100 Seiten
Autorin/Autor: Bleyer, Alexandra
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Gertie
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Wenn seit Kurzem, der neueste Kinofilm über Napoleon in den Kinos zu sehen ist, lohnt sich ein Blick auf die reale Person Napoleon Bonaparte. Der aufwendige Film von Ridley Scott nimmt es mit der historischen Wahrheit nämlich nicht gar so genau. Hier darf ich den Historiker Thomas Schuler zitieren, der sagt, der Film sei rein historisch eine absolute Katastrophe. Er sei ein Hollywood-Fantasy-Märchen von reinstem Wasser und da sind so viele Fehler drin.
Doch was ist die Wahrheit? Diese Frage stellt vor allem auch deswegen, weil Napoleon als Meister der Propaganda gilt und selbst die Geschichte zu seinen Gunsten verdreht hat.
Wer sich jetzt nicht durch die zahlreichen Biografien von A (Vincent Cronin) bis Z (Adam Zamoyski) durchlesen will, die gleich mehrere Meter in den Bücherregalen verstellen, dem sei die im Reclam-Verlag erschienen Kurzfassung „Napoleon. 100 Seiten“ von Alexandra Bleyer empfohlen.
Nur 100 Seiten für Napoleon? Ja, geht denn das überhaupt?
Gleich als ich die Ankündigung zu diesem Buch gelesen habe, hat mich eben diese Frage beschäftigt, ob das überhaupt möglich sein kann. Kann man das Leben des linkischen Aufsteigers aus verarmtem korsischen Adel, des Herrschers und des Despoten auf 100 Seiten darstellen? Wo doch allein schon die detaillierte Beschreibung seiner Krönungszeremonie zum Kaiser der Franzosen mehrere 100 Seiten umfasst?
Alexandra Bleyer, Historikerin und profunde Kennerin dieser Epoche, hat sich, wie sie selbst beschreibt, die Freiheit genommen “… die Rosinen aus dem Kuchen zu picken und den für mich spannendsten Fragen nachzugehen“. Eine davon ist die Frage nach der Körpergröße, die immer wieder Anlass zu Spekulationen gibt. (Nachzulesen auf S. 9)
Geschickt werden Zitate von Napoleon-Biografen wie Johannes Willms, Munro Price sowie Zeitgenossen Napoleons eingeflochten. Besonders gut gefällt mir Folgendes:
„Das Volk wird der Regierung nur dann vertrauen, wenn es ihm gut geht.“
François de Neufchâteau (1750-1828)
François de Neufchâteau ist Kurzzeitinnenminister und hat die Zeichen der Zeit richtig erkannt. Letztlich ist das französische Volk 1813/14 kriegsmüde. Man ist es leid, Steuerlast, Tod der Verwandten, Elend und Hunger für den Ehrgeiz eines einzelnen Mannes auf sich zu nehmen. Selbst seine engsten Mitarbeiter halten ihn (natürlich nur hinter vorgehaltener Hand) für verrückt und größenwahnsinnig. Einige wenden sich von ihm ab wie Jean-Baptiste Bernadotte, der 1810 König von Schweden wird und dessen Nachfahren heute noch regieren.
„Noch drei Jahre und ich bin der Herr des Universums“
(Napoleon 1811) und wenig später
„Wenn ich aufhöre zu siegen, bin ich tot.“
Dabei steht Napoleons Karriere gleich mehrmals auf Messers Schneide. Sei es, dass er zu lange (unerlaubt) seiner Truppe ferngeblieben ist (1793) oder sich wiederholt dem Direktorium widersetzt hat. Das wäre doch eine spannende Geschichte für Freunde der „alternative Geschichtsschreibung“, so ein kleines „was-wäre-wenn“-Spielchen.
Napoleon ist in seinem schrankenlosen Streben nach Macht und Anerkennung einem Trugbild aufgesessen, nämlich dem der „Vereinigten Staaten von Europa“ (unter seiner Führung natürlich). Schlussendlich hat sich diese Vision ins Gegenteil verkehrt. Er wird am 18. Juni 1815 in der Schlacht von Belle-Alliance (besser bekannt als Waterloo) einem Heer der vereinigten europäischen Monarchien gegenüberstehen und verlieren.
Was bleibt von Napoleon?
- Der Versuch, ein einheitliches System von Maßeinheiten im Dezimalsystem einzuführen? Wird erst 1875 mit der Meterkonvention realisiert.
- Eine moderne Rechtsprechung? Sein „Code Civile“ von 1804, der Frauen massiv benachteiligt, ist Grundlage für einige Staaten.
- Die geraubten Kunstschätze im Louvre? Der Großteil wurde nach Napoleons Sturz wieder ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückgegeben.
- Die Entschlüsselung der Hieroglyphen? Ohne Feldzug nach Ägypten wäre das Rätsel wohl erst viel später gelöst worden.
- Eine Reihe von Königreichen von seiner Gnade? Die Niederlande oder Belgien
- Das Kaisertum Österreich 1804-1918?
- Die Einführung von Propaganda und Selbstinszenierung als Mittel zur Macht?
Jetzt, nach der Lektüre dieser 100 Seiten kann die eingangs gestellte Frage, ob Napoleon mit 100 Seiten beschrieben werden kann, mit einem: „Ja, es geht! Es ist möglich!“
Alexandra Bleyer hat das schier Unmögliche geschafft: nämlich das schillernde Leben des Napoleon Bonaparte auf 100 Seiten durchaus humorvoll darzustellen.
Fazit:
Gerne gebe ich diesen 100 Seiten eine Leseempfehlung und 5 Sterne, sowie entspannte Stunden mit dem historisch nicht korrekten Film von Ridley Scott.