Michel Bergmann: Der Rabbi und der Kommissar - Fremde Götter
Autorin/Autor: Bergmann, Michel
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Es ist der Alltag eines Rabbiners in Frankfurt, über den man in den ersten Kapiteln liest. Die alltäglichen Probleme der Menschen in der Gemeinde, Familienkonflikte, Geheimnisse, die jemand mit sich herumträgt, genauso wie die Auffassungsunterschiede zwischen dem jungen Rabbi Silberstein mit den sehr auf Traditionen bedachten Älteren der Synagoge.
Eine Sache, der ihn besonders beschäftigt, ist die Familie Fuhrmann. Der Vater hat erst kürzlich herausgefunden, dass er nicht der Vater von Camilla, der 20-jährigen Tochter ist, die gerade erst geheiratet hat und ebenfalls Mutter wurde.
Der dritte Roman der Reihe mit Rabbi Silberstein ist im Vergleich zu den ersten beiden weitaus politischer und tagesaktueller. Was nicht wundert, denn wir leben ja leider in einer Zeit der Aggression, der zunehmende Gewalt und des steigenden Einflusses von extremistischen oder Strömungen. Dazu eine sehr persönlich wirkende Beschreibung dessen, was innerhalb in einer jüdischen Gemeinde passiert, wie Feste vorbereite werden, wie die Menschen sich umeinander kümmern, welche wichtige Rolle ein Rabbi im Leben der Gemeindemitglieder spielen kann.
Michel Bergmann arbeitet das alles in die Story ein. Rabbi Henry Silberstein predigt über die Konflikte der Welt und die Männer, die sie zu verantworten haben: Wladimir Putins Krieg und Diktatur setzt er dabei in eine Reihe mit anderen Diktatoren und Aggressoren aus der Geschichte.
Der unverhohlene, in den vergangenen Jahren verschleierte, nun aber immer mehr aufbrandende Antisemitismus (gerade noch angeheizt durch die grausame Auseinandersetzung im Gaza-Streifen) ist ebenso ein Thema wie das Geschäft mit der Angst und Unsicherheit der Menschen. Gemeint sind damit die falschen Propheten und Wunderheiler und Gurus, die die immer unübersichtlicheren Verhältnisse auf der Welt ausnützen, um Menschen zu manipulieren.
Das sind die Themen im Hintergrund der Handlung. Eines davon ist im Zentrum des Falles, in den Rabbi Silberstein diesmal sehr persönlich gerät. Beim Versuch, die Hintergründe zu klären, die dazu führten, dass Camillas Mutter von einem anderen Mann schwanger wurde, reist der Rabbi in die Schweiz. Dort findet er die Sekte eines Gurus, der sich Lupus nennt: jene Sekte und jener Lupus, dem auch Camillas Mutter und eine Freundin vor rund zwanzig Jahren in die Hände fielen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass damals junge Frauen quasi systematisch missbraucht wurden.
Der Rabbi, weil es sich ja um eine inoffizielle Mission handelt, hat sich dafür ein paar Tage freigenommen, auch wenn es gerade wichtige Dinge in der Gemeinde zu tun gibt. Aber die Sache mit dem Seelenfrieden in der Familie muss er unbedingt klären. Freizubekommen, dazu noch für eine private Angelegenheit, das ist aber gar nicht so einfach. Denn nach Silbersteins Ausflügen ins Kriminalistische ist sein Gemeindevorsteher Friedländer mehr als besorgt darüber, welchen „unpassenden“ Aktivitäten sein Rabbi möglicherweise schon wieder nachgeht.
Dennoch: der Rabbi nimmt den Zug und reist in die Schweiz, um den Guru zu treffen. Welten, es war nicht anders zu erwarten, prallen dabei aufeinander. So sehr, dass der Rabbi sogar in Verdacht gerät, einen Menschen ermordet zu haben.
Zu Rabbi Silberstein gehören natürlich auch die Witze, da ist wie immer etwas dabei, das man auch sehr gut weitererzählen kann :-) (Wenn ich mir Witze nur merken würde …)
Herausgekommen ist eine überaus stimmige Mischung aus leisem und nicht ganz so leisem Humor, der Beschreibung des leider in unserer Gegenwart gerade für Juden oft nicht so einfachen Lebensumfeldes und einem Kriminalfall, der sich allerdings etwas verschämt im Hintergrund hält. Die Krimihandlung stolpert ein wenig dahin, da hätte ich mir mehr Realitätsnähe und Schwung gewünscht; schon merkt man aber, dass das nicht der Hauptteil des Romanes ist.
Als Stimmungsbild finde ich den Roman enorm gut gelungen, was meine leichte Enttäuschung wegen des fehlenden spannenden Kriminalfalles weit aufwiegt.