Max Annas: Berlin, Siegesallee
Autorin/Autor: Annas, Max
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Online bestellen:
Es passiert nicht oft, dass ich im Grunde auch am Ende eines Buches nicht sicher bin, worum es darin ging – hier ist es aber genau so.
Schon beim Versuch der Einordnung wird es schwierig: ist es ein Krimi, ein historischer Roman aus der Kaiserzeit, ein Roman über die Verbrechen in den deutschen Kolonien, ein Roman über die Rechte von Frauen, ein Roman über die Entstehung und Dynamik von terroristischen Gruppen … alles zusammen?
Der Kern der Handlung
Im Mittelpunkt des Geschehens stehen vier Menschen: Joseph, der aus Kamerun stammt. Friedrich, Sohn eines Afro-Amerikaners. Ernst, als Hausdiener mit seinen deutschen Dienstherren aus Südwest-Afrika nach Berlin gekommen. Florentine von Baum, die Tochter eines Industriellen, sie hat keine materiellen Sorgen und kann ihre ganze Energie dafür verwenden, für die Rechte und Selbstbestimmung der Frauen einzutreten.
Viele Zufälle führen dazu, dass diese vier Menschen einander kennenlernen. Aus ihren Gesprächen entwickelt sich ein anarchistisches Komplott. Zunächst sollen, gewissermaßen als Fanal gegen die Verbrechen der Deutschen in Afrika, Angehörige des Militärs sterben, Männer, die selbst daran beteiligt waren. Als der Mord an den Soldaten nicht zur erwünschten Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit führt, planen die vier eine noch weitaus spektakulärere Aktion: ein Attentat auf Kaiser Wilhelm II. Stattfinden soll es auf der Siegesallee in Berlin.
Durch den Roman ziehen sich die Beschreibungen über das, was die Deutschen in ihren Kolonien anrichteten und wie die Deutschen Kolonialherren das Land ausbeuten und die Menschen zu tausenden ermorden. Ebenfalls breiten Raum nimmt die Zur-Schau-Stellung von Schwarzafrikanern im Rahmen einer Ausstellung in Berlin ein, was an die sogenannten „Völkerschauen“ des Tierparks Hagenbeck erinnert. Bei denen wurden, ganz ähnlich wie im Buch beschrieben, Dörfer im pseudo-afrikanischen Stil ausgestellt, in denen Schwarzafrikaner lebten, um den Besucherinnen und Besuchern die Welt der „Eingeborenen“ in den Kolonien vorzugaukeln.
Mein Eindruck
Leider geht dieser Teil, nämlich die Beschreibung, wie das Deutsche Kaiserreich als Kolonialmacht rücksichtslos und brutal agierte, wie Schwarze als Menschen zweiter Klasse betrachtet wurden, zwischen den anderen Handelssträngen des Romanes unter. Zu sehr wird man beim Lesen immer wieder von anderem abgelenkt und oft ist unklar, an welche Vorgeschichte ein neues Kapitel anknüpft.
Was für das Thema Kolonialismus gilt, das gilt auch für die anderen angerissenen Themen: Insgesamt ist für mein Empfinden einfach zu viel in diesen Roman hineingepackt, wodurch nichts davon überzeugend zu Ende gebracht wird. Wobei viele der Themen – siehe oben – wichtig und unbedingt, auch im Jahr 2024, hochaktuell sind.
Letztendlich bleibt alles offen, zumindest habe ich zu keinem der begonnenen Handlungsbögen einen Abschluss gefunden. Zugeben muss ich aber, dass es durchaus möglich ist, dass ich gegen Ende zu einiges überlesen habe, weil mein Interesse am Buch im letzten Viertel rapide abnahm.