Buchbesprechung/Rezension:

Margret Greiner: Auf Freiheit zugeschnitten: Emilie Flöge
Modeschöpferin und Gefährtin Gustav Klimts

Auf Freiheit zugeschnitten
verfasst am 12.04.2024 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Greiner, Margret
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Diese Romanbiografie hat mich ob der tollen Sprache gänzlich in den Bann gezogen. Empfehlenswert

Margret Greiner entführt die Leser in das Wien der sterbenden Donaumonarchie. Auf der einen Seite Adel und reiches Großbürgertum, die im Luxus schwelgen auf der anderen Seite verarmte Familien, die ihre zahlreichen Kinder kaum sattbekommen. In dieses Spannungsfeld wird Emilie Flöge als viertes Kind des Ehepaares Flöge hineingeboren. Der Vater, ein künstlerisch begabter Drechslermeister und Meerschaumpfeifenfabrikant, bringt es mit seiner Fabrik zu einigem Wohlstand.

Als die Brüder Ernst und Gustav Klimt, deren Vater ein Goldgraveur in Baumgarten (heute Teil des 14. Bezirks von Wien) in die Leben der Schwestern Helene und Emilie Flöge treten, weiß noch niemand so genau, wie sich das Schicksal erfüllen wird.

Obwohl die Autorin eine Romanbiografie über Emilie Flöge (1874-1952) schreibt, schwebt Gustav Klimt beinahe über mächtig über den Flöge-Schwestern. Sei es, dass er die Vormundschaft der, nach dem frühen Tod seines Bruders Ernst, vaterlosen Lentschi (Helene jun.) übernimmt und der Schwägerin beisteht, oder sei es, dass er zeitweise Emilies Leben teilt.

Er ist nie ganz da, aber auch nie ganz weg, eben wie ein Schatten, der über allem schwebt. Er beeinflusst das Leben Emilies nachhaltig. Er entwirft Stoffmuster für den Couture-Salon und Emilie steht für ihn Modell. Gleichzeitig über nimmt Emilie die Aufgabe, den zeitweilig depressiven Maler zur Arbeit zu motivieren. Die beiden stellen eine Symbiose dar, die nur der Tod trennen kann.

Der Werdegang der drei Schwestern Flöge von einer Änderungsschneiderei zum Couture-Salon in der Casa Piccola am Beginn der Mariahilfer Straße wird anschaulich geschildert. Gut herausgearbeitet wurde das Zusammenspiel der Schwestern Emilie, Helene und Pauline, jede setzt ihre spezielle Begabung zum Wohl der Firma ein. Emilie ist und bleibt der kreative Kopf. Flöge gilt als faszinierende Person der Wiener Bohème und des Fin de Siècle. Dass sie sich um die Meinung anderer wenig schert, zeigt auch ihr Auftritt beim Verkaufsdirektor der Steyr-Niederlassung, der es gar nicht glauben kann, dass eine Frau ein Auto kaufen will:

Zunächst ziert sich der Herr Direktor ein wenig, stellt Emilies Kaufkraft infrage und muss aber dann einer Probefahrt zustimmen (S. 245).

„Also öffnete der Direktor die Fahrertür eines offenen Siebeners [Anm.: Modell Steyr VII] für die Dame und die Beifahrertür für sich.

Emilie fuhr vorsichtig, gleichzeitig musste sie dem Direktor beweisen, dass sie fahren konnte. Auf der breiten Ringstraße beschleunigte sie bis Tempo 60, das ihr halsbrecherisch vorkam. Es war schwierig, alles gleichzeitig zu beachten, die Fußgänger, die sich nicht um die Automobilisten scherten, die vielen Straßenbahnen, die immer wieder die Wege kreuzten und die Autofahrer in die Bremsen zwangen, die Fiaker, deren Kutscher sich für die Könige der Straße hielten, die Kinder, die immer aussahen, als wollten sie vom Trottoir wegspringen und einem verlorenen Ball nachlaufen, Fahrrad fahrer, die in Gruppen die Straße in ihrer ganzen Breite einnahmen, Gemüsefrauen, die mit ihren Karren vom Nasch markt kamen: Ganz Wien schien auf Beinen und Rädern unterwegs. Und dabei musste sie sich mit der Bedienung von Steuerknüppel, Kupplung und Bremse vertraut machen, um den Wagen zu bewegen und ihn zum Stehen zu bringen. Nur gut, dass es nicht regnete, nur gut, dass es nicht dunkel war. Erst als sie wieder in den Hof der Steyr-Niederlassung einbog, spürte sie, dass ihre Nackenmuskeln steif und ihre Hände verschwitzt waren.“

Und was sagt der Herr Direktor?

“Sehr sportlich, gnädige Frau. Das Auto scheint ja auf Sie zugeschnitten zu sein. Ich nehme an, Sie wünschen einen weiteren Termin, zusammen mit dem Gatten.

Emilie protestierte nicht. In Wien war es immer dasselbe (in Paris auch, in London auch): Eine Frau war die Frau eines Mannes. Sie konnte nicht alleine gedacht werden, zumindest nicht, solange sie nicht im Witwenalter war.“

Meine Meinung:

Das Buch hat mir unglaublich gut gefallen. Die Autorin verwendet eine blumige Sprache, die sich einer Melodie gleich durch den Roman schlängelt. Unterbrochen lediglich durch ein paar im derben Wiener Dialekt gesprochenen (geschriebenen) Wort Gustavs. Der berühmte Künstler wird als wortkarg aber bildgewaltig präsentiert. Ein wenig erinnert er mich stellenweise an ein trotziges Kind.

Diskret beleuchtet Margret Greiner die Beziehung zwischen Emilie und Gustav. Die Gerüchte, die über die Beiden bis heute verbreitet werden, scheinen von einer missliebigen Zeitgenossin in die Welt gesetzt worden zu sein. Es gehörte sich einfach nicht, unverheiratet eine Beziehung mit einem Mann einzugehen. Ihre verwitwete Schwester Helene hat es da einfacher. Es gibt zwar nur ganz subtile Andeutungen, doch könnte auch Helene dem Charme von Gustav erlegen sein. Emilie verschließt hiervor ihre Augen so, wie sie über die vielen Affären Gustavs hinweg sieht.

Emilie Flöge ist ihrer Zeit weit voraus. Sie nimmt sich ihre persönliche Freiheit (siehe Autokauf). Sie schenkt ihrer betuchten weiblichen Kundschaft Freiheit in den Reformkleidern, die ohne einschnürendes Korsett getragen werden, auch wenn diese Kleider nicht überall Anklang finden. Zu neumodisch, zu frei eben. Das ficht Emilie nicht an und fertigt bis zum Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland Haute Couture für das reiche jüdische Bürgertum an. Danach bricht die jüdische Kundschaft weg und Emilie muss ihren Salon, in dem sie in dessen Hochblüte bis zu achtzig Näherinnen beschäftigte, schließen.

Nach dem Krieg kann sie nicht mehr an die Erfolge anschließen. Schöne, teure Kleider sind passé, praktische Mode ist angesagt. Sie versucht es mit Kostümen aus Jersey. Doch der Stoff aus England lässt sich nur mit englischen Nähnadeln verarbeiten, die nicht in die kontinentalen Singer-Nähmaschinen passen.

Nach Emilies Tod erbt Nichte Helene „Lintschi“ alles, inklusive die zahlreichen Briefe und Postkarten von Gustav Klimt, die erst nach Lintschis Tod an die Öffentlichkeit kommen.

Fazit:

Ein überaus lesenswertes Buch! Die sorgfältig ausgewählten Bilder ergänzen die Romanbiografie perfekt. Dafür gibt es 5 Sterne.




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