Buchbesprechung/Rezension:

Moussa Abadi: Die Königin und der Kalligraph

Die Königin und der Kalligraph
verfasst am 19.04.2024 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Abadi, Moussa
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
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Als wären sie ein Teil der Geschichten aus 1001 Nacht. Nur, dass es keine Märchen aus dem islamischen Kulturkreis sind, sondern Momente aus dem jüdischen Leben. Ein Blick in die Ghettos in Damaskus, Aleppo und anderen Städten des Nahen Ostens.

Wie viel lässt sich doch aus diesen oft märchenartigen Erzählungen über die Sitten und Gebräuche und über das Zusammenleben über alle Grenzen hinweg erfahren.

Moussa Abadi beschreibt das alles in unglaublicher Leichtigkeit, voller Gleichmut, vielleicht immer mit einem leichten Schmunzeln um die Lippen, das durch seine Feder (wahlweise: Tastatur, Bleistift) ungefiltert den Weg in die Texte findet. Er meidet dabei auch nicht einen kritischen, satirischen Blick auf seinen Mitbürgerinnen und Mitbürger und verschafft durch genau dosierte Überzeichnung einen nicht oft gewährten Einblick in den Alltag in den Ghettos.

Der Sohn, der auswanderte, um in Amerika zu Reichtum und Ansehen zu kommen. Die vermeintliche Königin, der man großherzig verzieh, dass sie nicht die Wahrheit gesagt hatte; ihre Spenden wogen eben jede Schwindelei auf. Allerlei Geschichten aus den Synagogen und über seltsame Rabbiner.  Das Zusammenleben der jüdischen Gemeinden mit den anderen Bevölkerungsgruppen. Legenden über wohlbekannte Mitglieder der Gemeinde, die unter der Hand weitererzählt werden; allesamt erzählt, mit dem Hinweis, dass sie natürlich nichts als die Wahrheit enthielten. Von Bettlern und Wohlhabenden, die in Nachbarschaft leben. Und immer liest man von der Vergänglichkeit des Lebens und wie darin auch Zuversicht stecken kann.

Das alles ereignet sich vor dem Hintergrund der Umwälzungen und fatalen historischen Geschehnisse des 20. Jahrhunderts. Als der Nahe Osten von europäischen Mächten in Kolonien aufgeteilt war, deren Bewohner in die Armeen des 1. Weltkrieges eingezogen wurden. Als dann der Krieg endlich zu Ende war, verwandelte die noch viel schrecklicher Zeit der Naziherrschaft das Leben der Juden in eine Abfolge von Angst und Flucht. Moussa Abadi und seine Lebensgefährtin retten ihr Leben und schlossen sich dem Widerstand gegen Hitlerdeutschland an.

Neben den von Wertschätzung geprägten Momenten im Leben von Juden als Minderheit inmitten anderer Religionen liest man in den Geschichten Abadis aber auch von der Zurücksetzung und Diskriminierung, der man als Jüdin und Jude ausgesetzt war. Das Ghetto war also auch ein Rückzugsort, indem es zwar geschehen konnte, dass man Opfer einer Intrige wurde; mit direkter Gefahr für das Leben wurde man meist nur außerhalb konfrontiert.

Am Ende jedoch ist die Zeit vorbei, in der Juden und Muslime nebeneinander in Eintracht leben konnten. Als der Israel gegründet wurde, waren auch die Juden, die seit Jahrhunderten dort lebten, zu unerwünschten Eindringlingen geworden.

Um das zuvor Gelesene richtig verstehen und einordnen zu können, ist die Lektüre des umfangreichen Nachworts von Rafik Schami in bedingt zu empfehlen. Es ist zugleich geschichtliche Einordnung wie auch Beschreibung der jüdischen Gemeinden wie auch des Lebens von Abadi: Wie der Antisemitismus aber schon lange vor den uns allen bekannten Verbrechen die uralten jüdischen Gemeinden in Syrien zerstörten. Wie die Zahl der in muslimischen Ländern lebenden Juden in der Folge von Pogromen und Einschränkungen im Alltag von einst Hunderttausenden auf heute wenige tausend schrumpfte.

„Die Königin und der Kalligraph“ ist ein besonderes Buch: Es beschreibt einerseits die Leichtigkeit des Lebens, den fröhlichen Blick auf die Welt und die Ironie, mit der Menschen wie Moussa Abadi sich selbst und ihre Erinnerungen betrachten können. Andererseits finden sich darin auch alle die Vorurteile, Anfeindungen und Beschränkungen, denen Juden nicht nur in Damaskus, sondern im gesamten Nahen Osten und auf der Welt ausgesetzt sind.

Die Welt, von der Abadi in den Geschichten aus dem Ghetto, in dem er aufwuchs, erzählt, existiert nicht mehr, sie musste Hass und Gewalt weichen. Sieht und hört man heute die Meldungen aus der Region, dann kann man sich kaum vorstellen, dass sie jemals existierte oder jemals wieder existieren kann.

Umso bemerkenswerter, welche insgesamt positive Atmosphäre die Geschichten dennoch verbreiten.




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