Heinrich Mann: Der Untertan
Autorin/Autor: Mann, Heinrich
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
Online bestellen:
Wenn man sich fragt, wo sie herkommen und wo sie zuvor waren, diese willigen Handlanger und fanatischen Helfershelfer von Despoten, dann wird man nach einiger Überlegung feststellen: Sie waren immer schon da und haben nur darauf gewartet, dass einer kommt, der ihnen vorangeht.
Einen von diesen Mitläufern hat Heinrich Mann zur Hauptfigur seines satirischen Romanes erkoren: Diederich Heßling ist schon als Kind einer, der nichts weniger sucht, als die Anerkennung der Obrigkeit. Zunächst der Vater, dem die Hand immer locker ist, dann die Lehrer, deren Aufmerksamkeit man gewinnt, indem man die Mitschüler ausspioniert.
Was er in seinen jungen Jahren perfektioniert: von den anderen gesetzestreues, mutiges, ja zumindest vorbildhaftes Verhalten einzufordern, während er es bei sich selbst nicht allzu genau nimmt. Sein rückgratloses Handeln, darin wird er langsam zum Meister, kann er immer mit Großspurigkeit und Überheblichkeit kaschieren. Ein Herr Karl, wie ihn der Qualtinger nicht besser hätte darstellen können
Ein Opportunist und verschlagenes Ekel hat es also geschafft, sich nach dem Tod des Vaters zum Herrscher (so wie er es sieht) über eine Vielzahl an Angestellten (Untertaten, wie er es sieht) und seine Familie hochzuschwingen. Untertanen, die man so schlecht behandeln kann, wie es einem gefällt. So ganz an der Spitze seiner Möglichkeiten angelangt, bleibt ihm nur noch, eine neue Lichtgestalt zu finden, der er sich unterordnen kann – wer ist dafür besser geeignet, als Kaiser Wilhelm!
Zunächst aber, es war zu erwarten, scheitert er kolossal an seiner unternehmerischen Ahnungslosigkeit, da helfen ihm keine Angeberei und kein Herumgebrülle mehr.
Diederich ist einer jener, die meinen, dass es ihnen zusteht, wenn sie bekommen, was sie wollen und die in den anderen die Schuldigen ausmachen, wenn ihnen etwas nicht gelingt. Vereint man das mit dem Prinzip „nach oben buckeln, nach unten treten“ dann hat man es gefunden, das Musterbeispiel für die Lebenslaufbahn eines solchen Helfershelfers. Alles in allem stellt man fest, dass Diederich Heßling wenig kann; gut beherrscht er aber, rechtzeitig die Stimmung der Mehrheit zu erkennen und sie sich zu Nutzen zu machen. Dann kann er wahrhaft auftrumpfen; aber wehe, er hört ein Widerwort von einer Person, die er für eine Autorität hält: dann wird er kleinlaut und unterwürfig.
Der ganze Charakter dieses Herren enthüllt sich, wenn man seinen Gedanken folgt: Heinrich Mann lässt teilhaben an dem, was Diederich denkt – und das ist oft gänzlich anders, als das, was er tut. Denn in seinem Inneren ist er überheblich, ein Narziss, der sich rundweg für besser hält, als die allermeisten Menschen um ihn herum. Nur dann, wenn er sich seiner Sache und der Meinung seiner Zuhörerschaft gänzlich sicher ist, zeigt er sein wahres Ich auch nach außen hin.
Mit Diederich Heßling geraten überhaupt alle ihm gleichgearteten Typen ins Visier von Heinrich Manns scharfer Satire. Die Selbstverliebten, die strenge Maßstäbe an andere anlegen, ohne ihnen selbst zu genügen, die fordern, ohne selbst etwas zu können, die sich für besser halten, dabei aber nur ihr Versagen durch Großspurigkeit verdecken wollen, die Vernaderer, die andere schlecht machen, und meinen, damit besser dazustehen. Die „Vivat“ und „Hurra“-Schreier.
Wie nebenbei entlarvt Heinrich Mann auch das so gerne von den Burschenschaften gepflegte Bild, dass sie die legitimen Nachkommen jener Burschenschaftler wären, die bei der Revolution 1848 ganz vorne gegen die herrschenden Fürsten aufgetreten wären. Wahr ist jedoch, und weil Diederich auch so ein Bursche ist, erlebt man es bei den Treffen mit, dass es eine Ansammlung von nationalistischen Leuten ist, von denen manche etwas, die meisten aber sehr stark faschistischen Gedanken zuneigen (Es ist im Übrigen auch ein noch heutzutage von diesen Burschenschaftern verbreitetes Märchen, dass sie den Geist der Liberalen weitertrügen – die Wahrheit ist, sie sind Erben und Bannerträger des Rechtsextremismus).
Ein anderer Blick fällt auf die Gerichtsbarkeit im Kaiserreich: Was sich vielleicht als unabhängig bezeichnet, ist von alten Männern besetzt, die gerne nach eigenem Gutdünken strafen und wenig von gerechten Urteilen halten. Dem Kaiser zu gefallen, ist auch in dieser Institution oberstes Gebot. Unter dem Titel der „Majestätsbeleidigung“ lassen sich nicht genehme Zeitgenossen mundtot machen, eine in autoritären Staaten bis heute beliebten Methode, Kritiker aus dem Verkehr zu ziehen.
Mit dem ungefilterten Blick auf Nationalismus, Faschismus, Obrigkeitshörigkeit, Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit, Fremdenhass, Bigotterie und Überheblichkeit von Leuten wie Diederich lässt Heinrich Mann keinen Zweifel daran aufkommen, wie verwerflich er solches Gedankengut hält und wie abstoßend und verachtenswert dessen Protagonisten sind.
Als der Roman im Jahr 1914 erschien, war das deutsche Kaiserreich noch intakt, der 1. Weltkrieg hatte noch nicht begonnen. Was man also liest, das ist zunächst eine Betrachtung der Verhältnisse unter Kaiser Wilhelm II. Seine Bedeutung verlor der Roman aber auch nach dem Ende des Kaiserreiches nicht, denn es dauerte nicht lange, bis die gleichen Opportunisten (jedenfalls sehr viele von Ihnen, den ehemaligen Kronprinz Friedrich Wilhelm eingeschlossen, die zuvor Wilhelm huldigten, sich den Nazis mit ebensolcher Euphorie anbiederten. Heinrich Mann bezeichnete später übrigens seinen Antihelden Diederich Heßling als einen Vorfahren der Nazis.
Was „Der Untertan“ so wichtig und nach wie vor so wirkungsvoll macht ist, dass er Verhältnisse und Verhalten beschreibt, die sich zu einem andauernden Makel (im mildesten Sinn) und zu einer andauernden Bedrohung (im meist oft realen Sinn) unserer liberalen Gesellschaft entwickelt haben und heute wie damals für Ausgrenzung, Intoleranz, Demokratiefeindlichkeit und Gewalt stehen.
Diese Ausgabe umfasst neben einigen Illustrationen von Arne Jysch auch einen umfangreichen Anfang mit Anmerkungen und Erläuterungen. Daraus ersichtlich wird, neben interessanten Details zur Entstehung, vor allem die nachhaltige Bedeutung dieses Romanes, die eben nicht nur die Gesellschaft in der Zeit des Deutschen Kaiserreichs beleuchtet, sondern bis heute so unglaublich aktuell geblieben ist.