Matthias Wittekindt, Rainer Wittkamp: Mord im Balkanexpress
Autorin/Autor: Wittekindt, Matthias
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Das Jahr 1895, als Europa noch ganz anders aussah als heute. Wien ist die Hauptstadt eines riesigen Reiches und Kaiser Franz Joseph als unumschränkter Herrscher des Landes ganz automatisch das Ziel von Verschwörungen und Attentaten.
Ein solches Attentat verfehlt im Wiener Burgtheater sein Ziel, weil der Kaiser zu einem Empfang erst gar nicht erscheinen kann. Die Explosion fordert jedoch mehrere Opfer unter den Gästen, darunter auch die berühmte Schauspielerin Christine Mayberger, die jedoch glimpflich davon kommt. Weil er von Berlin aus nicht erfahren kann, ob Christine überhaupt noch lebt, eilt ihr Geliebter, Prinz Albrecht, ein Cousin von Kaiser Wilhelm II, umgehend nach Wien. Er findet Christine zwar leicht schockiert, aber sonst bei bester Gesundheit vor und er findet auch schnell Hinweise auf einen der Attentäter.
Albrecht ist Agent des deutschen Geheimdienstes, hat aber von seinen Vorgesetzten keinen Auftrag, sich in die Ermittlungen in Wien einzumischen. Er findet dennoch rasche eine Spur, die aber ebenso schnell endet, denn kaum entdeckt, stirbt der Mann, dem Albrecht folgt, bei einem Sturz aus einem Fenster.
Diese Ereignisse sind auch die Gelegenheit, um den Leserinnen mitzuteilen, dass Christine und Albrecht schon zuvor in anderen Fällen gemeinsam erfolgreich ermittelten. Christine schafft es immer wieder, den Menschen Informationen zu entlocken, während Albrecht mehr für den handfesten Teil der Geheimdienstarbeit zuständig ist.
Die nächste Gelegenheit für ein Attentat auf den Kaiser gibt es der Hauptstadt des Königreiches Serbien. Franz Josef und Sisi reisen zu einem Staatsbesuch nach Belgrad. Albrecht, Christine und ein Major des österreichischen Geheimdienstes besteigen den Balkan-Express, ohne zu wissen, dass sich im selben Zug nicht nur die überlebenden Attentäter, sondern auch ein dubioser Offizier des serbischen Geheimdienstes einfinden.
Überhaupt könnte man meinen, dass sich im Zug noch weitere, noch unentdeckte Akteure versammelt haben. Man reist als quasi gemeinsam zu einem Ereignis, mit dem, wenn es erfolgreich verläuft, die nicht sehr stabiles politische Lage in Europa aus dem Gleichgewicht gebracht werden würde.
Den Hintergrund der Story bildet das von wechselnden Koalitionen geprägte Europa in den Jahren vor dem, 1. Weltkrieg. Wer mit wem verbündet war, konnte sich rasch ändern und so konnten schon kleinste Änderungen im Machtgefüge zu große Verwerfungen führen.
Eine durchaus spannende und gut in die Zeit eingefügte Story, die nur hin und wieder durch ein paar allzu simple Wendungen hindurch muss. Insgesamt aber bekommt man einen durchaus passenden Eindruck von den Verhältnissen zum Ende des 19. Jahrhunderts. Dabei fand ich die Charakterisierung der Personen sehr gut gelungen, sie alle werden richtiggehend lebendig.
Gelegentlich frage ich mich, ob Agenten der Geheimdienste damals wirklich so blauäugig agierten und ob es wirklich so einfach war, andere zu täuschen. Andererseits weiß man ja von berühmt/berüchtigt gewordenen Affären (zum Beispiel Stichwort: Oberst Redl), dass es tatsächlich eine Zeit war, in der jeder jeden bespitzelte.
Von Adeligen, Anarchisten, Geheimdiensten und einer beherzten Schauspiel-Diva
Wir schreiben das Jahr 1895. In der Donaumonarchie rüsten verschiedene Gruppen und Grüppchen von Nationalisten, die Grundfeste des Kaiserreiches zu destabilisieren.
Aktuell erschüttert ein Bombenattentat im Wiener Burgtheater das Reich. Ein als Kellner verkleideter Terrorist legt eine Bombe, die Kaiser Franz Josef töten soll. Nur auf Grund eines Zufalls(?) ist der Monarch dem Tod entronnen.
Natürlich ruft das Attentat sofort die Mitarbeiter diverser Geheimdienste auf den Plan. Unter ihnen Albrecht, ein Cousin des deutschen Kaisers und Geliebter der Burgtheaterdiva Christine Mayberger, die dem Anschlag unverletzt entkommen ist. Christine ist eine scharfe Beobachterin und kann mit einigen sachdienlichen Hinweisen Albrecht davon überzeugen, dass die Urheber dieses Verbrechens Richtung Balkan unterwegs sind. Und so macht man sich auf, den flüchtigen, mutmaßlichen Bombenlegern nach Belgrad zu folgen.
Im Balkan-Express treffen Albrecht und Christine dann auf den Impresario Yuri Tarasow mit seinem Mitarbeiter Fritz Matern sowie auf Oberst Lazar vom serbischen Geheimdienst, der sein eigenes Süppchen kocht.
Werden die beiden ein weiteres Attentat auf den Kaiser verhindern können?
Meine Meinung:
Dem Autoren-Duo Wittekindt & Wittkamp ist ein fesselnder Kriminalroman in der Zeit des Fin de Siècle gelungen. Wir tauchen ein in die Zeit der langsam, aber sicher untergehenden Donaumonarchie. Auf der einen Seite, die schwierigen Lebensbedingungen für die meisten Menschen auf der anderen Seite werden Unsummen für Theateraufführungen oder pompöse Feste ausgegeben. Deutlich sind die Spannungen zwischen den Nationalitäten spürbar. Auf dem Balkan versucht Österreich-Ungarn seinen Einfluss weiter geltend zu machen.
Sprachlich finde ich diesen Krimi wunderbar. Für manche Leser mag die etwas versnobte Sprechweise der Adeligen und Militärs gestelzt anmuten, doch diese Sprachmelodie ist ausgezeichnet recherchiert. Da werden Worte wie „blümerant“ (= ein flaues Gefühl haben, eigenartig) oder „Plumeau (= Tuchent, Federbett, Bettdecke) von den Mitwirkenden verwendet.
Elegant sind einige historische Persönlichkeiten eingeflochten. Die Aktionen der unterschiedlichen Geheimdienste können sich so oder so ähnlich abgespielt haben. Denn keiner traut dem anderen. Und, dass Bordelle Umschlagplatz geheimdienstlicher Informationen sind, ist auch hinlänglich bekannt. Genauso wie die Rekrutierung von Spitzeln oder Geheimnisträger, die man zuvor beim Kartenspiel ausgenommen oder beim unerlaubten Liebesspiel beobachtet hat und danach erpresst.
Mit den Protagonisten begeben wir uns auf einen Spaziergang durch die Hauptstadt des Kaiserreichs. Wir trinken Kaffee im Café Landtmann, jenem Kaffeehaus, das die Burgtheaterschauspieler und Literaten als ihr „Wohnzimmer“ betrachten. Dann begegnen ganz kurz Arthur Schnitzler im Café Central (Herrengasse) und sitzen mit den, Dynamitarden genannten, Verschwörern im Café Frauenhuber (Himmelpfortgasse). Auch von Belgrad erhalten wir Eindrücke der serbischen Hauptstadt.
Nachdem Oberst Lazar entkommen ist, schreit das förmlich nach einer Fortsetzung.
Das Personenverzeichnis zu Beginn des Krimis gibt einen guten Überblick über die handelnden Personen.
Fazit:
Ein gut gelungener historischer Krimi, der Auftakt einer neuen Krimi-Reihe sein könnte. Mich würd’s freuen. Gerne gebe ich 5 Sterne.
Zu einer Fortsetzung kam es nicht, weil Co-Autor Rainer Wittkamp leider im Jahr 2020 im Alter von nur 64 Jahren verstorben ist.