Buchbesprechung/Rezension:

Robert Menasse: Die Welt von morgen
Ein souveränes demokratisches Europa - und seine Feinde

Die Welt von morgen
verfasst am 21.05.2024 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Menasse, Robert
Genre:
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Schon längere Zeit rückt Robert Menasse unser Europa ins Zentrum seiner Literatur. Es ist daher wohl nur konsequent, dass er sich nun mit den Fakten zur Lage Europas, der Union, seiner Vergangenheit und seiner Zukunft auseinandersetzt.

Weil es so ein schön dynamisches Wort ist, nennt der Verlag es eine Streitschrift: Es ist aber viel mehr als das, es ist eine Bestandsaufnahme mit den Chancen und Risiken des Projektes Europa, den Errungenschaften und, als wohl gegenwärtig aktuellstes Thema dazu, den Gefahren, denen die Union durch das Erstarken der Rechtsextremisten und -Populisten ausgesetzt ist. Eine Gruppe von Parteien und Leuten, die die positiven Errungenschaften verschweigen und dann das, was sie selbst verhindert oder boykottiert haben, schamlos als Fehler der EU bezeichnen.

Das alles nicht (nur) in der Form einer geschichtlichen Aufarbeitung, sondern eingewoben in ein sehr meinungsstarkes und überzeugendes Plädoyer für einen Kontinent ohne Grenzen, mit vielen gemeinsamen Interessen, gemeinsamer Geschichte und vor allem gemeinsamer Zukunft.

In seiner Betrachtung zeigt Menasse die, in viel zu großer Zahl vorhandenen, Fehler in der Struktur auf. Ein Aspekt, der sicher zur speziell in Österreich sehr hohen Ablehnung der EU beträgt ist, wie die Politik die EU als Sündenbock missbraucht. Es lässt sich eben so wunderbar alles auf die EU schieben, wenn man Wahlkampf macht. Dass diese Methode aber auch von EU-Unterstützern verwendet wird, ist bestürzend (ein unrühmliches Beispiel dafür ist die ÖVP bei ihrem Versuch, die Rechtsaußen-Wähler für sich zu gewinnen).

Von Leuten wie Kickl, Orban, Salvini, Höcke ist so eine Vorgangsweise zu erwarten, denen geht es um eigene Machtgier und um persönliche Bereicherung:  Diese Leute machen Politik mit Lügen. Und leider, das ist das Schlimme, gibt es eben unglaubliche viele Leute, die dem glauben, der am lautesten brüllt, da hat die Wahrheit schon verloren.

Menasse beschreibt die strukturellen Fehler in der EU, die oft noch aus der Anfangszeit der Union stammen, in der es nur wenige Mitgliedsstaaten gab. Mit den Erweiterungen blieb das Reglement unverändert, die Anforderungen aber hatten sich radikal geändert. Welche Folgen das in welchen Bereichen hat, und welche Folgen das für die Bewältigung der zurückliegenden Krisen hatte, erklärt Menasse klar und verständlich. Er beschreibt auch die Fehler, die die EU, ihre Institutionen und Mitgliedsstaaten machen, viele davon gesteuert von Nationalinteressen, alle dazu geeignet, die Entwicklung Europas als Union zu unterminieren.

Wenn sich in den letzten Jahren langsam, sehr/zu langsam und von der Öffentlichkeit noch gar nicht richtig wahrgenommen, etwas in Richtung gemeinsamem Agieren Europas entwickelt hat, dann sind es zumindest kleine Schritte in die richtige Richtung. Nur Minischritte bisher dort, wo große Schritte nötig wären.

Solange aber anti-demokratische Regierungen, wie beispielsweise die des Viktor Orbán alles torpedieren und man solchen Leute wegen des bestehenden Einstimmigkeitsprinzips quasi ausgeliefert ist, dann weiß man, dass es noch weit bis zu einem einigen Europa ist. Einem Europa, dass sich auch gegen die hegemonialen Bestrebungen und diktatorischen Systeme Russlands und Chinas auf Augenhöhe durchsetzten kann.

Die kommende EU-Wahl ist die Gelegenheit für alle, die europäische Selbstbestimmung anstatt Abhängigkeit von Populisten und die auf einem friedlichen Kontinent Europa leben möchten. Wir wählen dabei nicht so sehr das, was ist, sondern das, was sein soll. Wir können wählen, ob wir weiterhin ein Kontinent der Demokratie sein wollen, oder ob die Freunde eines Kriegsverbrechers wie Putin über unsere Zukunft bestimmen.

Egal, was man wählt: ein Kreuz bei destruktiven Organisationen wie FPÖ, AFD und deren Gesinnungsgenossen ist jedenfalls ein Schritt zurück, der uns in Abhängigkeit von deren Sponsoren führen kann.

Robert Menasse hat, nach meinem Empfinden, die europäische Lage sehr klarsichtig und verständlich zusammengefasst. Es beinhaltet unglaubliche viele Details, die man sich wieder bewusst machen kann und viele Argumente, die man denen vorhalten kann, die antreten, um das geeinte Europa wieder zu trennen und denen, die diesen Zerstörern gedankenlos zujubeln.

Man mag Menasse nicht in allen seinen Standpunkten zustimmen, auch ich tue das nicht, aber eine gemeinsame Basis sollte es für uns Europäerinnen und Europäer unbedingt geben: die, das Projekt Europa weiterzuentwickeln und gegen diejenigen, die es zerstören wollen, anzutreten.

„Die Welt von Morgen“ ist ein politisches Buch über Politik, in dem es vor allem um eines geht: wie kann in Europa, in einem Zeitalter, in dem von Dummköpfen gewählte Autokraten nach oben streben, die Demokratie erhalten und verbessert werden.

Meine Empfehlung:
Vor der EU-Wahl am 9. Juni 2024 unbedingt lesen!

PS: Menasse widmet sich auch sehr ausführlich der Habsburgermonarchie. Die war in gewisser Weise eine erste Europäische Union und zeigte schon im 19. Jahrhundert, dass es möglich war, dass ganz unterschiedliche Volksgruppen unter einem Dach lebten. Sie ging auch deshalb unter, weil sie sich nicht weiterentwickelte.




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