Buchbesprechung/Rezension:

Peter Longerich: Abrechnung
Hitler, Röhm und die Morde vom 30. Juni 1934

Abrechnung
verfasst am 29.06.2024 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Longerich, Peter
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
LiteraturBlog Bewertung:

Online bestellen:   zum Thalia online-Shop
Schon selbst gelesen? Gib hier Deine Bewertung zum Buch ab!
[Gesamt: 0 Durchschnitt: 0]

Vor 90 Jahren, am 30. Juni 1934, beendete Hitler eine sich anbahnende Krise im gerade entstandenen NS-Staat durch einen Massenmord. Die Opfer waren jetzt nicht nur Regimegegner, politische Widersacher, Juden oder Oppositionelle, sondern überwiegend Leute aus dem eigenen Lager der Rechtsextremisten und einige, mit denen NS-Bonzen eine Rechnung offen hatten.

Um nach zuletzt von der Bevölkerung nicht gutgeheißenen Maßnahmen der Regierung und der sichtbar werdenden Diskrepanz zwischen Propaganda und Alltagsrealität die Stimmung wieder zugunsten des NS-Regimes zu manipulieren, suchten und fanden Hitler, Göring und ihre Handlanger einen Hauptschuldigen: Ernst Röhm, der Stabschef der SA war zu mächtig geworden und vielleicht sogar eine Gefahr für den alleinigen Führungsanspruch Hitlers.

Röhm und seinen engsten Vertrauten zu unterstellen, dass sie einen Putsch geplant hätten und sie überhaupt die Schuld an den Rückschlägen der letzten Zeit wären, bot den perfekten Rahmen für eine Mordserie rund um den 30. Juni 1934. Rund 90 Morde wurden im direkten Auftrag Hitlers oder eines seiner Gefolgsleute begangen.

Einen Putsch hatte Röhm nicht geplant, das ist unstrittig, er war auch kein Anti-Hitler, er war ein Rassist und Faschist des gleichen Kalibers. Röhm meinte aber wohl, so etwas wie der konsequentere Hitler sein zu können und war dabei, die SA zu einem Staat im Staat aufzubauen. Die zu diesem Zeitpunkt rund 4,5 Mitglieder der SA könnten ihm ein mächtiges Druckmittel verschaffen, seine Vorstellung einer fortgesetzten Revolution, was immer das bedeutet haben mag, umzusetzen.

Die Vorgeschichte, die Chronologie der Ereignisse und die Nachwirkung dieses Tages im Juni analysiert und dokumentiert Peter Longerich so anschaulich, dass man sich die damaligen Verhältnisse innerhalb der Nazi-Organisationen sehr plastisch vorstellen kann.

Das zeigt, wie sich die Dynamik der damaligen Rechtsextremisten nicht von derjenigen der heutigen Rechtspopulisten und Rechtsextremisten unterscheidet. Es ging und geht solchen Leuten nicht um das, was sie mit hetzerischen Reden unters johlende Volk bringen – nämlich um das vermeintliche Wohl des Volkes. Es ging und geht um persönliches Emporkommen, Einfluss, Lebensstaus 1).  Was Röhm, Göring, Hitler und Kumpane für sich wollten, war nichts anderes, als das, was man bei ihren heutigen geistigen Nachfolgern sehen kann.

Zwar wird heutzutage nicht mehr so leichtfertig gemordet, aber das ist nur unseren demokratischen Strukturen zu verdanken, in denen Presse, Justiz und Meinungsfreiheit nicht mehr so leicht unterdrückt und gelenkt werden können wir damals in Nazideutschland.

Mit dem detailreichen Blick auf die Ereignisse vor und nach dem 30. Juni 1934 liefert Longerich nicht nur eine ausgezeichnete historische Analyse. Er zeigt auch ein Bild dessen, was auf uns zukommen könnte (das Wort „wird“ will ich nicht verwenden, denn solche rechtsextremistischen Bewegungen haben schon immer in Gewalt gemündet), wenn solche Leute Macht und Einfluss haben.

Das Kalkül der Nazi-Führer ging jedenfalls auf. Peter Longerich definiert diesen 30. Juni als den entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte Nazideutschlands. Danach gab es für Hitler keine Hindernisse mehr, seine Allmacht beliebig zu nutzen, es wurde ihm sogar, quasi offiziell, das Recht zugebilligt, als Führer, Ankläger und Richter jederzeit Todesurteile auszusprechen. Es war der Tag, an dem der Führerstaat entstand, jegliche Opposition ausgelöscht war und damit auch die nachfolgenden Katastrophen zwangsläufig eintreten mussten.

Ein tiefer Einblick in Methodik und Anatomie eines Terrorstaates am Beispiel Nazi-Deutschlands.


1) PS: In Ungarn wird die Demokratie ausgehöhlt und (EU-)Gelder werden in Töpfe zugunsten einer Clique rund um Orban geleitet. In Österreich beschäftigen die kurzen Zeiten der FPÖ an der Macht danach noch jahrelang die Gerichte, weil man stets sehr generös unter dem von der FPÖ selbst geprägten Leitsatz „Unser Geld für unsere Leute“ agierte. Strache wollte Teile unseres Landes verscherbeln, wie er auf Ibiza so eindrucksvoll demonstrierte, Haider verteilte Milliarden an Freunde über seine „Hausbank“ Hypo-Alpe-Adria und Kickl ließ staatstreichartig den Verfassungsschutz stürmen, der u.a. rechtsextreme Aktivitäten beobachten sollte. Die ganze FPÖ ist in Freundschaft und Bewunderung der Putin-Partei und Putin verbunden. In nahezu allen westlichen Demokratien gibt es Beispiele für diese Erben des „Dritten Reiches“, sei es in Europa oder den USA.




Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Top