Buchbesprechung/Rezension:

Josephine Tey: Nur der Mond war Zeuge
Inspector Grants dritter Fall

Nur der Mond war Zeuge
verfasst am 16.09.2024 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Tey, Josephine
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
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Anwalt in Milford zu sein, ist für Robert Blair so etwas wie die Garantie dafür, einen nicht sonderlich aufregenden Job zu haben. Da kann man die Kanzlei schon einmal früher schließen, es wird sich an diesem Tag nichts Ungewöhnliches mehr zutragen.

Als das Telefon läutet, gerade als Robert die Kanzlei verlassen möchte, gerät er an einen äußerst mysteriösen Fall:

Die 16-jährige Elisabeth „Betty“ Kane taucht nach rund einem Monat wieder bei ihren Pflegeeltern auf und erzählt eine seltsame Geschichte darüber, warum sie so lange verschwunden war. Zwei Frauen hätten sie entführt, um sie zu zwingen, als ihr Dienstmädchen zu arbeiten (man bekommt ja so schwer vernünftiges Hauspersonal). Als Elisabeth sich weigerte, wäre sie geschlagen worden, man hätte sie hungern lassen, bis ihr nach einem Monat die Flucht gelang.

Die Aussagen und Hinweise des Mädchens führen Inspector Grant von Scotland Yard zum Haus von Marion Sharpe und ihrer Mutter. Alles, woran das Mädchen sich erinnern kann, scheint genau auf dieses Haus und die beiden Frauen zu passen. Als Grant dort auftaucht, um Tochter und Mutter zu befragen, kommt Robert Blair ins Spiel. Es wäre angebracht, bei der Befragung einen Beistand zu haben, erklärt die Tochter am Telefon sehr überzeugend und Robert ist nicht imstande, diese Bitte um Beistand abzulehnen.

Der Fall Elizabeth Canning aus dem 18. Jahrhundert ist das historische Vorbild dieses Romanes, den Josephine Tey in die Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges verpflanzt und zu einem, wenn auch fiktiven Ende führt.

Wie damals im Jahr 1753, in der Bevölkerung und in der Presse, so ist es auch im Roman die allem zugrunde liegende Frage: ist die ganze Story wahr oder ist sie erfunden? Wie kann sie erfunden sein, wenn Betty so viele Details, die Inspector Grant vor Ort tatsächlich vorfindet, beschreiben kann. Wie aber kann sie wahr sein, wenn Marion Sharpe voller Selbstbewusstsein über ihre Unschuld, den Inspector bereitwillig alles untersuchen lässt, was sie am Ende belasten würde.

Auch wenn Anwalt Robert Blair bislang mit Strafrecht nichts zu tun hatte, so ist er doch ein akkurater und scharfsinniger Beobachter, der aus dem Gehörten die passenden Schlüsse ziehen kann. Es dürfte also ein sehr guter Schachzug von Marion Sharpe gewesen sein, ausgerechnete ihn als Beistand hinzuzuziehen. Auch aus Sicht von Robert, der eine von ihm sehr unerwartete Sympathie für Marion verspürt.

Der Roman hat eine sehr verblüffende Parallele zu dem, was in unserer Gegenwart schon alltäglich ist: als eine Boulevardzeitung die unbewiesenen Behauptungen in reißerischer Aufmachung veröffentlicht, findet sich bald ein hitziger Mob zusammen. Modern gesprochen ein Shitstorm, der sich schnell in Vandalismus und Gewalt ausweitet; das ist tatsächlich beunruhigend aktuell.

Inspector Grant ist in diesem Roman nur in einer kleinen Nebenrolle aktiv. Der wahre Detektiv ist der Anwalt Robert Blair, der die Aufklärung bald zu seiner sehr persönlichen Angelegenheit macht. Es geschieht kein Kapitalverbrechen, aber das braucht es auch gar nicht für diese tolle Story.

Schritt für Schritt begleitet man Robert Blair, ist bei seinen Gesprächen und Überlegungen hautnah dabei und lernt dabei seine überaus überzeugend beschriebenen Mit-Darstellerinnen und -Darsteller kennen.

Wenn auch Teys Roman „Alibi für einen König“ als der beste Krimi aller Zeiten bezeichnet wird, so finde ich diesen hier weitaus überzeugender. Großartig entwickelte Charaktere, eine überaus fein gesponnene Handlung und ein überzeugendes Finale ergeben für mich persönlich einen der besten Krimis, den ich in den letzten Jahren gelesen habe (und es waren viele …)




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