Christian v. Ditfurth: Zeit des Terrors
Der dritte Fall für Karl Raben
Autorin/Autor: v. Ditfurth, Christian
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Ein Roman aus der Zeit, in der Moral, Zivilisation, Menschlichkeit und Toleranz von Gewalt, Hass und Skrupellosigkeit weggefegt wurden. Die Handlung beginnt zum Anfang des Jahres 1938, es sind nur noch wenige Tage, bis Hitler befehlen wird, Österreich zu annektieren.
Auch wenn auf dem Buchcover „Kriminalroman“ steht: der Fall, den Kommissar Karl Raben bearbeitet, ist nur so etwas wie der rote Faden, um den Christian v. Ditfurth ein erschreckend real wirkendes Bild der Nazizeit zeichnet.
Verbrechen als Staatsdoktrin
Jüdische Juweliere werden am helllichten Tag von SA-Männern überfallen und ausgeraubt. In Nazideutschland im Jahr 1938 nichts, worüber sich irgendjemand den Kopf zerbrechen würde, geschweige denn jemand die Polizei rufen würde.
Doch die Schläger der SA machen ein Fehler: sie behalten die Beute für sich. Das ist Diebstahl am Reich, denn alles, was man Juden stiehlt, das gehört dem Staat und der Partei.
Dennoch würde sich niemand darum kümmern, wäre Karl Raben nicht zufällig Zeuge eines dieser Überfälle. Gemeinsam mit seinem Kollegen und Freund Georg Lichtigkeit spürt er die Täter auf. Die fühlen sich zunächst sehr sicher, denn man hat ja „nur Juden“ überfallen. Raben aber sieht die Chance, noch alte Rechnungen mit einigen der Verbrecher aus SS und SA zu begleichen. Er lässt nicht locker und beginnt die Sache nach der Person, die hinter diesen Überfällen stecken muss.
Dass Raben zum Liebling von Heydrich und Himmler avanciert ist, nachdem er vermeintlich einen Mordanschlag auf Hitler verhindert hatte, hilft ihm einerseits, andererseits hat er sich damit auch Feinde gemacht. Mit seiner „Heldentat“ hat Raben sich als Mann für besondere Aufgaben empfohlen. Die damit verbundene Verehrung vieler „Volksgenossen“ wird ihm immer unangenehmer, weil er auch in der Öffentlichkeit, viel zu oft für seinen Geschmack, erkannt wird.
Er wird immer wieder zu speziellen Aufträgen abkommandiert, was zugleich auch die Gefahr für ihn erhöht, entlarvt zu werden. Entlarvt, weil er nicht nur auf einem persönlichen Rachefeldzug ist, sondern weil er auch ganz bewusst versucht, Vorhaben der Nazis zu sabotieren; und dabei weiter geht, als er jemals gedacht hätte.
Auch als Raben von Heydrich nach Österreich vor der Annexion und später nach Tschechien vor dem Einmarsch der Deutschen ins Sudetenland geschickt wird, um dort die Lage zu erkunden, wagt er sich weit vor. Um mitzuhelfen, den unvermeidlich scheinenden Krieg abzuwenden, lässt er sich auf etwas ein, das nicht nur ihm selbst, sondern allen, die mit ihm zu tun haben, das Leben kosten kann.
Leben in Nazideutschland
Ein Roman über das Leben in Nazideutschland am Vorabend des 2. Weltkrieges. Es ist eine immerwährende Atmosphäre der Anspannung, jeden Tag liegen Gewalt und Krieg in der Luft.
Ditfurth beschreibt ungemein realistisch und nachvollziehbar, wie es gewesen sein muss in einem solchen Überwachungsstaat zu leben, wenn man jedes Wort auf die Waagschale legen muss und beinahe niemandem vertrauen kann. Wenn anders zu denken heißt, jederzeit gewappnet sein zu müssen, dass es in der Nacht an der Tür klopft und man von der Gestapo verschleppt wird.
Karl Raben und seine Familie sind als so etwas wie eine Insel im Meer der Fanatiker beschrieben. Nur in den eigenen vier Wänden können Karl, seine Frau Lena und Lenas Mutter Elisabeth sie selbst sein. Sobald sie die Wohnung verlassen, müssen sie die Rollen der guten Volksgenossen spielen. Rollen, aus denen man angesichts der alltäglichen ungesühnten Verbrechen, die man sieht, nur allzu leicht fallen kann.
Wenn Karl Raben in Wien kurz nach dem „Anschluss“ Österreichs mitansehen muss, wie Juden von einer grölenden Menge gezwungen werden, die Straßen auf den Knien mit Bürsten schrubben und wie die Polizei steht daneben und zusieht. Wie würden die meisten Menschen unserer Zeit auf so etwas reagieren? Wie würde ich reagieren? Raben bleibt jedenfalls nur, den Blick abzuwenden und weiterzugehen.
Dazu liegt über allem die Furcht vor einem neuen Krieg. Es ist eine andauernde Atmosphäre der Anspannung, denn niemand zweifelt daran, dass Hitler weiter eskalieren wird und alle erwarten, dass Briten, Franzosen oder Russen irgendwann auf die Bedrohung reagieren werden.
Ein Krimi und eine Chronik der Nazizeit
Eine Zeit zwischen moralischer Verkommenheit, fanatischen Faschisten und gewissenlosen Verbrechern. Gegenseitiges Bespitzeln, um den Machthabern gefällig zu sein ist an der Tagesordnung und letztendlich weiß man nie, wem man vertrauen kann. Für uns heute kaum nachvollziehbar, wie es gewesen sein muss, damals zu leben.
So wie es in diesem Roman nachzulesen ist, so einen klaren Einblick in die Zeit des Nationalsozialismus bekommt man nicht oft. Das funktioniert hier deshalb, weil Ditfurth sein Wissen als Historiker mit seiner Begabung als Schriftsteller nahtlos verbindet.
Wie mit Andersdenkenden, mit Juden und überhaupt mit allen Unliebsamen umgegangen wurde, was in den Kellern der Gestapo geschah, lässt einem beim Lesen quasi die Haare zu Berge stehen. Man wünschte, es wäre nur Fiktion, weiß aber, dass es im „Tausendjährigen Reich“ so bzw. so ähnlich andauernd zutrug.
Dazu kommt ein überaus spannendes und beinahe atem-raubendes Finale, denn Raben und Lichtigkeit lassen ihr Ziel nicht aus den Augen: den Organisator der Raubzüge zu überführen.