Buchbesprechung/Rezension:

Ralf Günther: Die Könige von Babelsberg
Fritz Lang und die Akte Rosenthal

Die Könige von Babelsberg
verfasst am 23.10.2024 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Günther, Ralf
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
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Ein Krimi, der in die Zeit der Anfänge des Filmes als Massenunterhaltung zurückführt und selbst beinahe ein Drehbuch für einen Film ist.

Kommissar Walter Beneken ist die zentrale Figur des Dramas, in Filmsprache also der Hauptdarsteller. In wichtigen Rollen Fritz Lang, der berühmte Regisseur und Thea von Harbou, Autorin von Drehbüchern. Lang und Harbou sind zum Zeitpunkt der Ereignisse ein Liebespaar, beide aber noch verheiratet. Als eine wichtige, wenn auch bereits tote, Protagonistin Lisa Lang, deren schrecklich zugerichtete Leiche im Schlafzimmer Langs gefunden wird.

Beneken, wie er sehr behutsam und überlegt seine Karten aufdeckt. Der Kommissar hört seinen beiden Zeugen – oder Verdächtigen? – aufmerksam zu. Lässt sie ihre Geschichte erzählen und fragt nach. Meist ist beim Nachfragen ein Detail anders, als bei der ersten Aussage; etwas, das sich durch alle weiteren Gespräche zieht. Anstatt klarer zu sehen, versinkt Beneken immer weiter in die von Lang und Harbou erzählte Geschichte; als ob sie einen Film drehen würden.

Verhöre kann man das alles nicht nennen, denn Benekens Vorgesetzte drängen ihn, den Fall als Unfall abzuschließen. Die Prominenz und die Verbindungen von Lang und Harbou bilden einen regelrechten Schutzschirm um die beiden.

Dabei ist es fast immer so, dass Beneken schon weiß, was in bestimmten Situationen geschah, bevor er seinen Fragen stellt. Für ihn bei seinen Verhören die große Herausforderung, Dichtung in Wahrheit in den Aussagen zu erkenne. Denn, wie wohl bei Verdächtigen so üblich, gilt es nicht nur, die Lügen auszufiltern. Hier, wo er es mit Menschen zu tun hat, die von Berufs wegen Geschichten erfinden, kommt noch die künstlerische Ausschmückung dazu. Spurensuche, Gerichtsmedizin und seine eigenen Erkenntnisse lassen ihn immer einen Schritt voran sein, ohne dass er schlüssig nachvollziehen kann, was wirklich geschah, als Lisa Lang durch einen Schuss ums Leben kam.

Die fundamentalen Veränderungen in Deutschland nach dem Weltkrieg sind die eine Seite der frühen 1920er: Politik, Lebensumstände, die von den Rechten geschürte „Dolchstoßlegende“, die Inflation … es ist nicht mehr wie vor dem Jahr 1914. Einen Roman zu verfassen, deren diesem Jahrzehnt spielt, wäre nicht vollständig, wenn darin nicht auch die sich ändernden Moralvorstellungen ein zentrales Thema wären.

Die Rollenbilder ändern sich, die staubige Moral des Kaiserreiches fällt ab von den Menschen ab, während zugleich die Gesetze mit den neuen Freiheiten nicht mithalten. In den Kinos wird gezeigt, was vor wenigen Jahren undenkbar war. Frauen und Männer wagen, in neuen Wegen zu denken und das zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten.

Die geschickt konstruierte Handlung lässt zu jeder Zeit alle Varianten der Umstände von Lisa Langs Tod offen. Unfall, Mord, Selbstmord: Alles kann geschehen sein.

Beneken, der angesichts seines Umgangs mit der Scheinwelt der Filmindustrie auch selbst zunehmend in einer Scheinwelt versinkt, wird durch ein Labyrinth von Lügen der klare Blick verwehrt. Weil er selbst bei unbedeutenden Fragen nicht sicher sein kann, ob er auf einer richtigen oder falschen Spur ist, entfernt er sich immer weiter von der Aufklärung.

Im sehr ausführlichen Nachwort ordnet Autor Ralf Günther die Ereignisse in diesem Roman in das ein, was sich im Jahr 1920 wirklich zutrug. Nachdem man den Roman gelesen hat und nun die Hintergründe dazu erfährt, klärt sich, wie nahtlos Ralf Günther Realität und Fiktion miteinander verbindet.

Vielleicht passierte damals alles so, wie hier nachzulesen; vielleicht aber auch nicht.

Wie immer man dieses Buch einordnen mag – Krimi, Gesellschaftsroman, Zeitgeschichte. Die überzeugenden Charaktere, die Beschreibung der Gegensätze in der Zeit des Umbruchs, die überraschende Handlung ergeben zusammen einen äußerst lesenswerten Roman.

PS: einige Szenen erinnern mich an den Film „Cabaret“ mit Liza Minelli aus dem Jahr 1972. Eine gute Gelegenheit, den wieder einmal anzusehen …




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