Buchbesprechung/Rezension:

Antonio Scurati: M. Das Buch des Krieges

M. Das Buch des Krieges
verfasst am 01.11.2024 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Scurati, Antonio
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
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1940 – 1943: Die Jahre, in denen Mussolini endgültig zum Lakaien von Adolf Hitler wird.

Getrieben von den Kriegszügen des deutschen Führers, kann der italienische Duce nicht nachstehen.

Immer wildere und absurdere Pläne schmiedet er, nur um zu beweisen, dass mit „seinem“ Italien ein legitimer Nachfolger des antiken Römischen Reiches entstanden ist. Dass er dabei die militärische Stärke seines Landes maßlos überschätzt, kümmert Mussolini nicht, denn es gilt, ebensolche Eroberungen vorweisen zu können, wie Hitler.

Der finale Niedergang beginnt

So beginnt Antonio Scurati den vierten Teil seine literarische Mussolini-Biografie damit, wie er aufzeigt, dass alle im Umkreis von Mussolini wissen, dass die italienische Armee in allen Belangen denen der Gegner unterlegen ist. Alles wissen es, niemand wagt es, dem Duce zu widersprechen.

In der Form, wie Scurati es niederschreibt, meint man tatsächlich, bei allen diesen Gesprächen dabei zu sein. Die Überlegungen der Generäle selbst zu hören, ihr Gesichter zu sehen. Wie einige von ihnen versuchen, einen Weg zu finden, Widerspruch einzulegen und die Tatsachen schonungslos aufzuzeigen, wie wenig die Armee gerüstet war für einen Krieg gegen irgendeinen Gegner. Und dann doch stumm bleiben. Zu viele verschwanden schon spurlos, wenn es Mussolini gefiel.

Die Weltgeschichte bringt es mit sich, dass sich das Geschehen in diesem vierten Teil aus Italien hinaus zu den Kriegsschauplätzen verschiebt. Also überall dorthin, wo sich der eitle Duce gerne als Sieger feiern lassen möchte, aber doch nie Sieger sein wird.

Tausende Soldaten werden auf Kriegszüge geschickt, die nicht zu gewinnen sind. Mussolini nimmt keine Rücksicht darauf, wie viele Menschenleben das kosten wird, in seinem Caesarenwahn bekräftigt er sogar, dass es egal sein, wie viele sterben würden, ginge es doch um einen Sieg, den er erwartet. Ein Sieg, den er dann vor Hitler präsentieren kann, um zu zeigen, dass sie, die beiden Massenmörder auf derselben Stufe stehen.

Ende des Jahres 1940: Innerhalb weniger Wochen enthüllt sich in aller Dramatik der Unterschied zwischen Mussolinis Rhetorik und den Tatsachen: Die Invasion Griechenlands scheitert mit tausenden getöteten Soldaten, die Engländer vernichten die Hälfte der italienischen Flotte, die im Hafen von Talent liegt und die Armee in Nordafrika wird von den Engländern hunderte Kilometer weit zurückgedrängt. Das Großmaul Mussolini muss kleinlaut auf die Milde und Unterstützung des Verbündeten in Berlin hoffen.

Jetzt wird das Buch immer mehr zu einem Bericht über die Leiden der Soldaten an allen jenen Orten, an die Mussolini italienische Divisionen, schlecht ausgerüstet, schickt. Um für ihren Duce einen Teil des vermeintlich kommenden Ruhmes an der Seite der deutschen Armeen zu ergattern, sterben auf dem Balkan, in Nordafrika und in Russland Italiener einen sinnlosen Tod. Und wieder sind die Beschreibungen dessen, was die Männer dort erleben, wie ein Bericht, den man selbst miterlebt, so aufwühlend, erschütternd, entsetzlich. Alles entnommen aus den Tagebüchern und Erinnerungen derer, die es miterlebten.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Staaten wird im Lauf dieser Jahre immer deutlicher. Während Hitler immer auf blinden, hündischen Gehorsam bauen kann, wächst in Italien der Unmut über den Duce, dessen wahnsinnige Vorhaben dazu führen, dass italienische Städte bombardiert werde, alle Kolonie verloren gehen und zehntausende Soldaten sinnlos sterben müssen. 

Kann so etwas wieder geschehen?

Es kann fast nicht ausbleiben, die damaligen Verhältnisse mit heute zu vergleichen:
Ein aggressiver Diktator, der Nachbarländer überfällt. Dazu ein notorischer Selbstdarsteller, der vorgibt, die Führungsrolle innezuhaben, dabei aber mehr und mehr zum Schloßhund des anderen wird. Ist es völlig abwegig, dabei an Putin und Trump zu denken?

Wenn man sich mit der Zeit des Faschismus im 20. Jahrhundert beschäftigt, drängt sich immer die Frage auf, wie sehr uns heute durch die, von gedankenlosen Wählern an die Macht katapultierten, Neo-Faschisten ähnliche Katastrophen drohen. Mit Russland gibt es ein Beispiel, wie Faschismus immer in Gewalt mündet und auch Trumps Versuch, das Wahlergebnis durch einen Putsch umzukehren, war auch nichts anderes als ein, wenn auch misslungener, erster Schritt in Richtung Ende der Demokratie.

Mit seinen Büchern beschreibt Scurati also nicht nur eine dunkle Vergangenheit, sondern auch eine Zukunft, die droht, wenn die Entwicklung der letzten Jahre so fortsetzt. Wenn zuletzt in Österreich sich 3 von 10 Wählerinnen und Wählern für einen großen Schritt in Richtung Vergangenheit entschlossen haben, wenn sie FPÖ wählten. Wenn in zwei Bundesländern im Osten Deutschlands vergleichbares mit der AfD geschah, wenn in den Niederlanden Rechtsextreme die meisten Stimmen bekamen – die Liste ließe sich noch lange fortsetzten – dann sind die Weichen definitiv in die falsche Richtung gestellt.

Dramatische Geschichtsschreibung

Ich habe viele Bücher über die Zeit des Faschismus und den 2. Weltkrieg, über Hitler, die Nazis, Mussolini und die Faschisten gelesen. Aber nichts kommt in seiner Dramatik und Klarheit an das heran, was Antonio Scurati in seiner jetzt schon vierteiligen Biografie Benito Mussolinis gelingt.

In einer Art von literarischem Dokumentarspiel, verknüpft mit dazugehörigen Originalzitaten der Protagonisten und Ausschnitten aus Originalberichten aus der Zeit: in M. Das Buch des Krieges kommt Geschichte in Bewegung, ohne dass es bewegter Bilder dazu bedarf.

So nahe an das Geschehen zu kommen, ist beinahe beängstigend.




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