George Saunders: Die kurze und schreckliche Regentschaft von Phil
Autorin/Autor: Saunders, George
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Ein schmales Buch, das seine Aktualität nicht verlieren kann. Die Originalfassung erschien im Jahr 2005 und die Welt hat in den dazwischen liegenden Jahren alles getan, um das, was hier nachzulesen ist, wie eine Parabel auf etwas aussehen zu lassen, das gerade jetzt passiert.
Das ist der Schauplatz: Das kleine Land Innen-Horner und rundherum das große Land Außen-Horner. Im kleinen, das noch dazu immer kleiner wird, drängen sich die Einwohner zusammen, bis nicht mehr Platz für alle ist. Die Einwohner des großen Landes achten penibel darauf, dass niemand die Grenze überschreitet. Denn das wäre wohl nur der Beginn einer richtigen Invasion, man kennt das ja (dass die anderen keine Waffen haben und kaum mehr besitzen als das, was sie am Leib tragen, ist dabei nicht wichtig).
Ein labiles Gleichgewicht, bis das kleine Land so klein wird, dass sich niemand mehr dort aufhalten kann, ohne an irgendeiner Ecke die Grenze zu überragen. Da tritt einer auf den Plan, der in seinem bisherigen Leben nichts auf die Reihe gebracht hat (sich aber für sehr, sehr toll hält) und forderte seine Landsleute im großen Land auf, diesen Eindringlingen zu zeigen, dass sie unerwünscht sind. Phil schwingt sich zum Volksredner auf und findet schnell genügend Mitstreiter, die an seinen Lippen hängen und sich daran beteiligen, die Bewohner des kleinen Landes zu schikanieren.
Von der ersten Seite an beginnt es in meinem Kopf zu schwirren, so viele Beispiele aus der realen Welt fallen mir dazu ein. Zum kleiner werdenden Land fallen mir die Weltgegenden ein, denen der Klimawandel immer mehr bewohnbares Land stiehlt. Oder die Demagogen, die überall auf der Welt ihre Unwahrheiten verbreiten und immer wieder (und immer mehr) denkuntaugliche Gläubige ihres Kultes finden. Oder die Grenzen, an denen Wesen wie Du und ich zurückgewiesen werden, auch wenn sie in größter Not sind. Dann noch die Gier der einen, die selbst schon mehr als genug haben, aber den anderen dennoch immer alles neiden. Und immer wieder die Leute, die gerade noch 1 und 1 zusammenzählen können, sich aber für viel gescheiter halten als alle anderen. Die allzeit und überaus bewährte Methode, äußere Feinde zu erfinden, um von den inneren Misständen abzulenken. Wenn man beginnt darüber nachzudenken, wie viele Demagogen und Schreihälse in der Art von Phil es gerade auf unserer wirklichen Welt gibt, dann wird man gar nicht mehr fertig mit dem Aufzählen.
Zu diesen und ähnliche Dingen kann man ganz sicher jede Menge an realen Entsprechungen finden. Saunders‘ Geschichte ist also quasi ein Nachrichtenüberblick einer x-beliebigen Woche in den 2020er-Jahren.
Solche Themen in einer Parabel zu transportieren, ist nicht neu, George Orwells „Animal Farm“ ist eines der bekanntesten Beispiele dafür. Was George Saunders mit seiner Erzählung darüber hinaus vermag, ist alles noch näher an die Menschen heranzuschieben. Wenn seine Lebewesen nicht menschenähnlich sind, so sind sie in ihren Taten und Gedanken doch zutiefst menschlich.
George Saunders nimmt seiner Erzählung die Schärfe, indem er einiges satirisch schreibt. Anderes so überzeichnet, dass es schon gar nicht mehr wahr sein kann und wieder anderes so schreibt, dass es genau dem entspricht, was man bei Lesen selbst erwarten würde.
Auch wenn es ganz sicher eine überstrapazierte Formulierung ist, so fällt mir als Klammer über alles doch nur ein (weil es eben so genau passt): „Die kurze und schreckliche Regentschaft von Phil“ hält uns einen Spiegel vor, in dem wir das sehen können, was die schlechten Seiten unserer Welt ausmacht.