Buchbesprechung/Rezension:

Paul Lynch: Das Lied des Propheten

Das Lied des Propheten
verfasst am 14.01.2025 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Lynch, Paul
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
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[Gesamt: 1 Durchschnitt: 5]

Wir leben in einer Zeit, in der Dystopien zu Realität zu werden scheinen.

Dort, wo es freie demokratische Wahlen gibt, wählen Menschen genau diejenigen Demagogen, die zwecks dauerhafter Machterhaltung die Demokratie untergraben wollen – wer soll das verstehen? Das erleben wir beinahe überall in Europa ebenso wie in den USA und in Südkorea versucht ein Präsident durch Notverordnungen den Staat zu destabilisieren. Freiheit ist weltweit auf dem Rückzug.

Es ist nicht einfach, in solchen Zeit einen Roman zu schreiben, der über das, was sich in der Realität schon abzeichnet, hinausgeht und das Zeug dazu hat, ein mahnendes, wirkungsvollen Ausrufezeichen zu setzen.

Paul Lynch hat, wie ich meine, unbedingt zu Recht, im Jahr 2023 den Booker Prize für seinen Roman erhalten, in dem er sich genau diesen Übergang zwischen Freiheit und Unterdrückung als Thema vorgenommen hat. Jenen Moment, der so leicht zu übersehen ist, in dem aus einer Demokratie eine Autokratie wird.

Paul Lynch ist Ire und siedelt seinen Roman in seiner Heimat an. Irland drängt sich als Schauplatz aber auch deshalb auf, weil sich der Insel-Staat eben wegen seiner Lage als riesiges Gefängnis darstellen lässt.

Als Gewerkschaftsfunktionär wähnt sich Larry Stack auf der Seite des Rechts, seine Arbeit wird vom Gesetz geschützt. Daran kann doch auch diese Einladung zu einem Gespräch bei der Polizei nichts ändern. Doch Larrys Sicherheit gerät ins Wanken, als er ganz unmissverständlich Warnungen erhält und als wenig später ein Kollege spurlos verschwindet. Immer noch vertraut er auf

Eine angekündigte Demonstration wird von der Polizei niedergeknüppelt, wenig später verschwindet auch Larry.

Seine Frau Eilish erfährt nichts, nur spärlich kommen Informationen über den Verbleib Larrys bei ihr an. Die Kinder fragen nach ihrem Vater, was soll sie ihnen sagen, ohne ihnen Angst einzujagen. Eine Angst, die sie selbst hat. Larry, so hört sie, wurde in ein Internierungslager gebracht, ein politisches Risiko wäre er.

Larry? Der wollte doch nur für die Rechte einstehen, die ihm zustehen. Mit Larry werden sie alle interniert, die glaubten, ihre Meinung äußern zu können, die Medien sind zensiert, nur über die Umwege über das Ausland erfährt man, was im Land geschieht.

Die Regierung hat endgültig begonnen, alle Gegner auszuschalten, einen nach dem anderen. Notstand nennen sie das, weil es irgendeinen inneren Feind gäbe und dieser vermeintliche Notstand liefert den pseudo-legalen Rahmen, alle Rechte der Bürgerinnen und Bürger auszusetzen. Jetzt ist die Zeit der Mitläufer, der Charakterlosen, der brutalen Schläger gekommen, die sich den Herrschenden anbiedern und mitunter noch radikaler werden, als die Anführer selbst. Der alltägliche Terror greift nach denen, die noch nicht in irgendein Geheimgefängnis oder Lager verschleppt wurden.

Dann kommt der Krieg. Die Rebellen gegen das Regime, Granaten und Gewehrfeuer zwischen den Wohnhäusern. Es taucht das Bild einer Stadt auf, das so ähnlich aussieht wie die Bilder, die wir aus Gaza, Syrien oder der Ukraine kennen. 

Beinahe zu realistisch

„Das Lied des Propheten“ ist von der ersten Seite an bedrückend. Ein Gefühl der Bedrohung liegt über allem.

Neben der darin beschriebenen Noch-Fiktion eines Staates in Europa, der dabei ist, sich in eine Orwellsche Diktatur zu wandeln, trägt auch die Sprache zu dieser Bedrückung ganz wesentlich bei. Dialoge und Zwischentexte gehen fugenlos ineinander über, gehen ohne Absatz über die ganze Seite, alles wirkt von Anfang an atemlos, gehetzt, ratlos, angsterfüllt. Zudem verlangt dieser Stil beim Lesen einiges an Konzentration, denn manchmal ändert sich mitten im Satz das Thema und man muss sich wieder neu orientieren.

Das Muster der Unterdrückung mit Polizeiterror, Spitzel, die überall mithören, mit der Zensur der Nachrichten, die Gleichschaltung der Justiz, Schikanen überall, die Umkehrung der Wahrheit und das Schaffen von Feindbildern  – alles das ist nicht neu. Das ist bekannt aus Nazideutschland, der DDR, Russland, China oder Nordkorea, wo es Staatspolitik war und ist und von den der Aushöhlung des Rechtsstaates durch extremistische Parteien und Populisten, wie es beispielsweise in Ungarn und in den USA schon länger zu verfolgen ist. Nicht zu vergessen, dass bei uns in Österreich in Kürze ein Kanzler im Amt sein könnte (wird), der ganz unverhohlen die demokratischen Grundwerte „infrage stellt“.

Wie sehr nur hat sich die Welt in den vergangenen Jahren zum Negativen geändert, dass es nicht mehr für grundsätzlich abwegig ist, dass es solche Verhältnisse in der Wirklichkeit, in unserer Lebenszeit geben könnten?

Der Roman ist, zusammengefasst, eine dramatische Erzählung über den Versuch, sich als Einzelne gegen das Regime zu behaupten. Um ihn zu lesen, benötigt man einen guten Magen und starke Nerven und wird dennoch das bohrende Gefühl der Beklemmung nicht abschütteln können.




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