Buchbesprechung/Rezension:

Peter Longerich: Wannseekonferenz
Der Weg zur "Endlösung"

Wannseekonferenz
verfasst am 20.01.2025 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Longerich, Peter
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
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Am 20. Jänner 1942 fand eine der in der Geschichte der Menschheit wahrscheinlich beispiellose Zusammenkunft statt. In einer Villa am Wannsee in Berlin hatte Reinhard Heydrich Spitzenvertreter aus allen Bereichen der Nazibürokratie versammelt, um die „Endlösung“ zu organisieren.

Die Wannsee Konferenz war nicht der Beginn des Massenmordes, sondern sollte die zuvor lokal organisierte Ermordung von Juden, Sinti, Roma und allen anderen Menschen, die die Nazis als von ihren festgelegtes „unwertes Leben“ eliminieren wollten, zentralisieren.

Die Geschichte der vorangehenden Deportationen und Massaker ist Inhalt des ersten Teils des Buches. Mit den Orten des Todes, den Namen der Verantwortlichen, der Herkunft und Anzahl der Opfer.

Auch wenn alles im Stil einer historischen Aufbereitung geschrieben ist, so bleibt beim Lesen das Entsetzen über das Geschehen nicht aus, es greift unwiderstehlich um sich. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn sich man sich schon vor diesem Buch ausreichend über den Holocaust und den Massenmord informiert glaubte.

Im zweiten Teil des Buches ist das Wannsee-Protokoll im Original abgedruckt, jeweils ergänzt mit Erläuterungen. Ein Protokoll in einem Stil verfasst, als wäre es die Zusammenfassung einer beliebigen Besprechung über simple geschäftliche Vorgänge und nicht die Planung eines Jahrhundertverbrechens.

Peter Longerich macht mit seiner sachlichen Darstellung die kalte Berechnung der Organisatoren beinahe zu bildhaft sichtbar. Menschen wurden wie Ladungen von irgendwelchen Dingen gemustert, taxiert und je nach Entscheidung sofort ermordet oder als Sklaven missbraucht. Sklaven, deren Tod nur aufgeschoben war. Sie wurden ausgebeutet und am Ende wie Müll weggeworfen und entsorgt.

Die Namen der Haupttäter sind bekannt, man findet sie immer wieder in der Chronik der Ereignisse.  Doch sie sind nur ein kleiner Teil jener, die sich schuldig gemacht haben. Einige wenige, nur die bekanntesten Köpfe, wurden später zur Verantwortung gezogen, sie waren so schuldig, dass man nicht darüber hinwegsehen konnte. Die meisten der anderen, deren Namen weniger publik wurden, lebten nach der Niederlage der Nazis unbehelligt weiter und führten ein beschauliches Leben. Was für eine Art von Gerechtigkeit war das? Sie hatten tausende Leben vernichtet und gaben sich als gute Nachbarn, erhielten Ämter, wurden Ärzte, Politiker oder Richter, als ob nichts gewesen wäre.

Es gibt neben dem Geschehen insgesamt mehrere Einzel-Aspekte, die mich ganz besonders erschüttern:

  • Wie die Nazis ihre Verbrechen in Gesetze kleideten und deshalb glaubten, alle unter diesem Deckmantel begangenen Taten legitimiert zu haben.
  • Der schon akribische Eifer, mit dem die Nazis ihre Verbrechen organisierten und dokumentierten (Aufzeichnungen, die sie später verzweifelt zu vernichten versuchten). Bürokraten saßen an ihren Schreibtischen und schoben, völlig verfangen in ihrer abstoßenden Ideologie und von der Rechtmäßigkeit ihres Treibens überzeugt, Millionen Menschen hin und her,
  • Das Selbstverständnis der agierenden Nazis, nach dem sie ihre Verbrechen als so etwas wie eine höhere Pflicht definierten. Unter diesem Deckmantel konnten und wollten sie jede persönliche Schuld immer von sich weisen.

Am Ende ist es völlig unmöglich, das nachzuvollziehen, was in den Köpfen dieser Kreaturen vor sich ging. Und damit auch das, was in den Köpfen derjenigen vorgeht, die bis heute noch (oder wieder) diese Ära verehren.

In dieser Dichte alle Dokumente und Fakten über das nachzulesen, was die Nazis unternahmen, wie viel Aufwand sie trieben, um den Wahn des Antisemitismus in den Holocaust zu wandeln, ist und bleibt völlig unverständlich.

Kaum zu glauben, dass das alles noch vor 80 Jahren hier bei uns tagtäglich stattfand, dass es viele unserer Vorfahren waren, die dafür verantwortlich waren.

Ein Buch, das deutlich macht, wie schnell aus ganz normalen Menschen, unscheinbaren Nachbarn, Bekannten oder Verwandten quasi über Nacht gewissenlose und mordlüsterne Bestien werden können.




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