Milo Dor, Reinhard Federmann: Internationale Zone

Autorin/Autor: Dor, Milo
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Ein Roman, der in dieser Dichte und mit diesem Bezug zur Realität wohl nur geschrieben werden konnte, weil die beiden Autoren in genau dieser Zeit lebten und alles, worüber sie schrieben, gewissermaßen LIVE miterlebten.
Wien in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg ist eine geteilte Stadt. Wie in Berlin teilten die vier Besatzungsmächte die Stadt in vier Sektoren, nur die Inner Stadt (der 1. Bezirk) blieb unter gemeinsamer Verwaltung. Wien hatte aber, anders als Berlin, das Glück, dass keine Mauer gebaut wurde – Österreich blieb als Einheit erhalten, war aber wegen er durchgängigen Grenzen zwischen den Sektoren (nicht nur in Wien) wie geschaffen für Spionage, Schmuggel und die Verschleppung von Menschen.
Alle diese drei Themen packen Milo Dor und Reinhard Federmann in ihren Roman und beziehen sich dabei auf das alltägliche Geschehen.
Wie sie aus ihrer eigenen Wahrnehmung heraus schrieben, zeigt sich, dass es tatsächlich „gute“ und „böse“ Besatzungsmächte gab. Während in den von Amerikanern, Briten und Franzosen verwalteten Zonen zwar nicht die Kriminalität, aber die von der Verwaltung ausgehende Korruption und Gefahr für das Leben geringer war, bot sich in der Sowjetzone ein gänzlich anderes Bild.
Im Zentrum der Handlung steht der Zigarettenschmuggler Georges Maine, der, aus Rumänien geflüchtet, sich wahlweise aus Wiener oder als Schweizer ausgibt. Geschäfte macht er mit den Sowjets gleich auf mehrere Arten
Zigaretten, die über Ungarn ins Land kommen, werden von den Sowjets in Militär-LKWs bis vor Wien transportiert, wo Georges sie übernimmt und in der Stadt verteilt. Ein Geschäft, bei dem man nicht zimperlich sein darf. Nachzulesen sind Szenen, die an Prohibitionszeit in Chicago erinnern, wenn ein Transport der Konkurrenz überfallen oder sabotiert wird.
Für das Privileg, einer der Hauptabnehmer der Sowjets sein zu dürfen, erwarten diese eine Gegenleistung.
Geflüchtete Gegner der Sowjets, Überläufer, Agenten werden gekidnappt, jenseits der Zonengrenzen übergeben. Die meisten der Entführten werden für immer verschwinden, nur wenige werden überleben. Für George Maniu ist es ein Geschäft wie jedes andere.
Dabei balanciert Georgi Maniu selbst immer an der Grenze zwischen Reichtum und Absturz. Seine „Geschäftspartner“ sind austauschbar, was immer hinter den verschlossenen Türen der Sowjets beschlossen wird, bleibt für ihn verborgen. In der Stalin Ära ändern sich die Verhältnisse schnell – wer heute an einflussreicher Position sitzt, kann morgen schon verschwunden sein. Wird jemand als Verräter bezeichnet oder fällt in Ungnade, verschwinden mit ihm auch gleich alle seine Verbündeten und Partner.
Die Kulisse dafür ist eine Stadt, in der die Zerstörungen noch immer das Stadtbild bestimmen und in der Kriminelle und Agenten weitgehend unbehelligt von Recht und Gesetz agieren können. Ob es der Schmuggel ist oder die Chance für jene, die nur skrupellos genug waren, enorm viel Geld in kurzer Zeit anzuhäufen. Ob der von den Sowjets organisierte Menschenraub oder Schwarzhandel ist.
Es sind keine realen Personen, über die man liest, aber alles orientiert sich an tatsächlichen Ereignissen.
So unvorstellbar diese ganze Szenerie für Menschen das 21. Jahrhunderts auch sein mag: in dem Wien, über das Dor und Federmann im Jahr 1953 schrieben, ereignet sich alles das.
Ein beeindruckend realistischer historischer Roman, der im Stil eines Thrillers eine Welt beschreibt, die vor vor rund 70 Jahren genau dort existierte, wo wird heute leben.