Buchbesprechung/Rezension:

Oliver Hilmes: Ein Ende und ein Anfang

Ein Ende und ein Anfang
verfasst am 24.03.2025 | einen Kommentar hinterlassen

Autorin/Autor: Hilmes, Oliver
Genre:
Buchbesprechung verfasst von:
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Bücher wie dieses gewinnen ihre Bedeutung aus der Umkehr der Perspektive. Oliver Hilmes unternimmt den Versuch, das Geschehen der Tage im Sommer 1945 aus der Sicht der Menschen zu betrachten: so wie man es damals miterlebte, ohne zu wissen, was wir heute wissen.

Diese Betrachtung ergibt einen sehr merkbaren Unterschied zu einer nachträglichen historischen Betrachtung, wenn sie auch immer notgedrungen einen gehörigen Teil an Spekulation beinhalten muss.

Das Gespräch, das Klaus Mann mit Richard Strauss in dessen Villa führt. Ein 80-jähriger Richard Strauss, dessen heftigste Kritik in diesem Gespräch am Naziregime war, dass er, Strauß, womöglich Ausgebombte in seiner Villa hätte beherbergen sollen. Kein Unrechtsbewusstsein, keine Reflexion, nichts über seine bis zum Schluss andauernden Komplizenschaft mit dem Terrorregime, obwohl er sehr genau über deren Verbrechen Bescheid wusste. Und dann wieder, Strauss‘ öffentliche Verurteilung des Naziregimes; wie stand Strauss wirklich zu den Nazis?  Oder jenes mit der unerschütterlichen Nationalsozialistin Winifried Wagner, die in Hitler nichts anderes als einen angenehmen Gesprächspartner sah, ohne sich um seine Verbrechen zu kümmern.

Alma Mahler-Werfel, die, obwohl mit Franz Werfel verheiratete, ihren Antisemitismus hinausposaunte. Charles de Gaulle, der wegen seines Auftretens von allen Alliierten, Churchill, Roosevelt und später Truman und Stalin gemieden wurde, wo es nur ging. Die Sowjetsoldaten, die im besiegten Deutschland stationiert blieben. Die Frauen in den zerstörten deutschen Städten, die die Rache der Sowjetsoldaten über sich ergehen lassen mussten und zu hunderttausenden vergewaltigt wurden. Wie die Menschen, die vor den Nazis fliehen konnten oder mussten, alles aus der Ferne miterlebten.

Nach sechs Jahren Krieg, Besatzung und Bombenhagel muss sich Europa erst wieder an den Frieden gewöhnen. Auf der einen Seite die befreiten Gefühle, als Nazideutschland endlich besiegt war. Auf der anderen Seite der schier hoffnungslose Ausblick auf die Zukunft, wenn man durch die Ruinen der zerstörten Städte ging und sich nicht vorstellen konnte, dass daraus jemals wieder ein bewohnbarer Raum werden konnte.

Viele derjenigen, die an alledem die Schuld tragen, befinden sich noch auf freiem Fuß. Doch nacheinander werden einige der Hauptverantwortlichen gefasst; angeführt von Hermann Göring über Joachim Ribbentrop bis Albert Speer – ihnen, diesen nur mehr armseligen und abstoßenden Gestalten, wird wenige Monate später in Nürnberg der Prozess gemacht.

Schneller als gedacht stellt sich für die Menschen in den zerbombten Städten die Normalität in bescheidenem Umfang ein. Theater und Kinos spielen vor ausverkauften Häusern, auch wenn es oft nicht einfach ist, unzerstörte Spielorte zu finden. Die Verkehrsmittel gehen wieder in Betrieb, beinahe ein Wunder, wenn man die Bilder der mit Schutt übersäten Straßen vor Augen hat. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Produkte des täglichen Bedarfs spielt sich zu großen Teilen auf den Schwarzmärkten ab und dennoch eröffnen schon wieder einige Restaurants.

Zwischen Weltpolitik und Überlebenskampf

Ein langfristig bedeutsames Ereignis in Europa ist das Treffen der Führer der Siegermächte Ende Juli 1945 bei der Konferenz in Potsdam. Hier wird Europa für die nächsten Jahrzehnte aufgeteilt, die Betroffenen, die Menschen, die später in dieser Welt leben müssen, haben dabei nichts mitzureden.

Von den zu Anfang des Krieges im Amt befindlichen Staatsoberhäuptern bzw. Regierungschefs ist am Ende einzig Stalin übrig geblieben, Truman ist dem verstorbenen Roosevelt nachgefolgt und mitten in der Konferenz muss Churchill nach der verlorenen Unterhaus-Wahl für Clement Attlee, dem neuen Premier aus der siegreichen Labour-Party Platz machen.

Das katastrophalste Einzelereignis des 2. Weltkriegs sollte aber noch kommen: am 6. August 1945 fiel die erste Atombombe auf Hiroshima. Den Befehl dazu hatte Truman noch während der Konferenz in Potsdam erteilt.

Natürlich ist ein großer Teil dessen, was im Buch nachzulesen ist, bekannt (vor alle dann, wenn man sich mit dieser Zeit schon ausführlich beschäftigt hat). Was Oliver Hilmes aber in seinen Büchern immer wieder gelingt ist, die großen, historischen Ereignisse mit kleinen Details aus dem Lebensalltag zu verbinden.

Was geschah in den Straßen der zerstörten Städte, während in Potsdam konferiert wurde? Welche Eindrücke gewannen die aus dem Exil nach Deutschland zurückgekehrten? Welche Gedanken bewegten die Eroberer, nicht nur die Befehlshaber, sondern auch die einfachen Soldaten? Welche Hürden mussten im Alltag von den Überlebenden genommen werden, um auch nur die einfachsten und notwendigsten Dinge zu ergattern?

Bilder, die für uns in Europa Vergangenheit sind.
Da wir aber im Jahr 2025 leben, sind es Bilder, wie wir sie ganz ähnlich täglich aus der Ukraine bis zum Nahen Osten sehen müssen.




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