Steffen Kopetzky: Atom

Autorin/Autor: Kopetzky, Steffen
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Andreas
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Ein Gedankenspiel, das in einem schrecklichen, fiktiven Szenario münden würde. Was, wenn die Nazis mit der Entwicklung ihrer neuartigen Waffen nur wenige Jahre früher begonnen hätten, wie wäre dann der 2. Weltkrieg ausgegangen?
Steffen Kopetzky stellt die Ereignisse rund um Hitlers „Wunderwaffen“, von denen die Nazipropaganda bis in die letzten Kriegstage behauptete, sie würden den „Endsieg“ bringen, in den Mittelpunkt von „Atom“
Düsenjets, Tarnkappenbomber, Marschflugkörper, ballistische Raketen und als ultimative Waffe der Apokalypse die Atombombe. In den Forschungsstätten und Labors der Nazis wurde an Massenvernichtungswaffen geforscht und einige davon wurden in der Endphase des Krieges eingesetzt.
Forschungen, die den Alliierten nicht verborgen blieben. Doch trotz aller Versuche, die Fertigungsstätten zu zerstören, gelang es den Nazis, die V1, die V2 und den Messerschmitt-Düsenjäger weiterhin zu produzieren und einzusetzen.
In Steffen Kopetzkys historischem Roman ist es der englische Physikprofessor Simon Batley, der die über Europa verteilten Schauplätze durch seine Arbeit für den britischen Geheimdienst verbindet. Zunächst verfolgt man in großen chronologischen Schritten die Methode der Aufklärungsarbeit der Geheimdienste der Alliierten, auf welche Quellen diese sich stützte und die allzu oft vergeblichen Versuche, die Forschung und die Produktion der Nazis zu sabotieren.
Fakten und Fiktion
In einer wie ich finde, großartig gelungenen Verknüpfung von Fakten und Fiktion beschreibt Kopetzky, wie es den Deutschen über einen langen Zeitraum gelang, ihre Forschung und Produktion selbst unter der intensiven Bombardement und trotz einer Vielzahl an von den Alliierten unternommenen Kommandounternehmen aufrechtzuerhalten. Als es für die Deutschen nicht mehr möglich war, alle wieder rechtzeitig instand zu setzen, wurden Produktionsstätten unter die Erde verlegt, verborgen vor der Aufklärung und dem Zugriff durch die Alliierten entzogen. Eine Entscheidung, die es nicht nur schwieriger machte, einzuschätzen, an welchen Waffensystemen die Nazis arbeiteten, sondern die vor allem auch unsäglichen Qualen und tausendfachen Tod unter den für die Bauarbeiten eingesetzten Zwangsarbeitern nach sich zog.
Verantwortlich für das gesamte Programm war der SS-General Hans Kammler, eine zugleich gewissenlose und mysteriöse Figur, deren Schicksal nach dem Ende des Weltkriegs niemals eindeutig geklärt wurde.
Je näher das Ende des Krieges rückt, desto kompakter wird auch die Handlung. Simon Batley erhält den Auftrag, Hans Kammler ausfindig zu machen. Ein Auftrag, der ihn zwischen die Fronten bringt, in das immer kleiner werdende Gebiet, das noch von den Deutschen gehalten wird, während die alliierten Armeen von allen Seiten vordringen.
Das geschieht zu einer Zeit, als schon längst politische und militärische Entscheidungen über moralische Zweifel gestellt werden. Es geht in den letzten Kriegsmonaten darum, sich möglich viel Knowhow in Form von Maschinen, Plänen und den auf deutscher Seite Verantwortlichen zu sichern. Sowjets auf der einen Seite, auf der anderen Briten, Amerikaner und die westlichen Verbündeten, die letztendlich aber auch zunehmend gegeneinander arbeiteten.
Wenn der Buchtitel „Atom“ zunächst suggerieren mag, dass es vorrangig um die Forschung am Bau einer Atombombe durch die Nazis geht, so ist es doch das gesamte Programm von Hitlers „Wunderwaffen“, dem die Geheimdienste auf der Spur sind. Alle werden, das wissen wir, nach dem Ende des Krieges so viel Wissen und Wissenschaftler übernommen haben, um die von den Nazis begonnenen Entwicklungen quasi lückenlos fortzusetzen.
Stellt über Simon Batelys Tätigkeit sehr geschickt und wie selbstverständlich Verbindungen zwischen einigen bekannten Protagonisten aller Seiten her. Aus diesen Kontakten ergeben sich immer neue Ansätze für die nächsten Aktionen.
Batley trifft auf den späteren Sowjetspion Kim Philby als der noch als einer der Spitzenagenten der Briten gilt. In Portugal kommt es zu einem Treffen mit Ian Fleming und wie Steffen Kopetzky die Ereignisse rund um dieses erste Treffen (später folgen noch weitere) mit Fleming beschreibt, erinnert das dann schon ein wenig an eine James Bond-Story.
Mit Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, der auf eigene Initiative nach England geflogen war, um über ein Ende des Krieges zu verhandeln, nahmen die Engländer einen Mann gefangen, der sich für Batley als wichtige Informationsquelle entpuppt, wenn auch nicht in der erwarteten Form.
Auf Seite Nazideutschlands treten mit Wernher von Braun und Hans Kammler die führenden Köpfe des Raketenprogrammes auf, Batley trifft auch Sigismund von Braun, im Gegensatz zu seinem Bruder Wernher kein Unterstützer Hitlers und Klop von Ustinov, den Vater von Peter Ustinov.
Nur ein paar der historischen Persönlichkeiten, die in diesem Buch auftreten. Alles zusammen ergibt sich aus diesen persönlichen Begegnungen und dem mit diesen Personen verbundenen Geschehen ein überaus realistisches Abbild der Zeit; ein Blick auf das, was weniger dramatisch war, als die Schlachten und Massenmorde der Nazis, die Millionen an Menschenleben kosteten. Weniger dramatisch und öffentlich, aber von wesentlicher Bedeutung für den Verlauf des Kriegs selbst und den schon bald danach beginnenden Kalten Krieg.
Auch wenn es eben „nur“ ein Roman ist, so beherrscht Steffen Kopetzky doch die Kunst, damit uns Ausstehenden, die wir das alles nicht miterlebt haben, verständlich zu machen was geschah. Damit reiht sich „Atom“ nahtlos in die Reihe der beeindruckenden Bücher ein, die ich von Kopetzky schon gelesen habe.
Eine unbedingte Leseempfehlung für alle, die Einblicke in ein Kapitel unserer Geschichte gewinnen möchten, das bis heute nachwirkt.