Will und Roswitha Quadflieg: »Ich will lieber schweigen«

Autorin/Autor: Quadflieg, Will und Roswitha
Genre:
Buchbesprechung verfasst von: Gertie
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„Ein Schauspieler bleibt ein Schauspieler“
(S. 265)
Als Roswitha Quadflieg 2011 den Nachlass ihrer Mutter Benita Quadflieg-von Vegesack ordnet, entdeckt sie eine Kiste, die mit „Briefe & Kurioses“ beschriftet ist. Eine genauere Sichtung verschiebt sie auf später. Dieses SPÄTER findet im Corona-Winter 2021/22 statt.
Dieser Karton entpuppt sich als wahrer Schatz:
Zwischen 476 Briefen ihres Vaters Will Quadflieg und nur sechs, die von Benitas Hand stammen, und allerlei Krimskrams steckt das abgegriffene Tagebuch des Vaters, das den Zeitraum von März 1945 bis Oktober 1946 umfasst.
Dieses Tagebuch fördert einiges über ihren Vater zutage, über den sie sehr wenig weiß. Ihre Eltern, Benita und Will, haben sich scheiden lassen, als Roswitha 13 Jahre alt ist. Und als Vater ist der viel beschäftigte Schauspieler kaum präsent. Dafür kennt sie alle Städte, in denen er auftritt – als Fähnchen auf einer Landkarte. Das Persönliche, was Roswitha ihn weiß, hat sie aus zweiter oder gar dritter Hand, seine Rollen sind nachzulesen. Ein einfacher Charakter ist er nie gewesen. Ein Womanizer, sagt man, weiß man – mehrere außereheliche Kinder legen Zeugnis davon ab.
Mit diesem Tagebuch und den Briefen hält sie eine Art pothume Zwiesprache mit ihrem Vater, stellt imaginäre Frage, bekommt ebensolche Antworten (oder auch nicht). Manche Sätze kommen ihr bekannt vor, anderes muss sie recherchieren und querchecken, einiges lässt sich durch andere Quellen belegen, manches nicht. Geflunkert?
Roswitha Quadflieg stellt die Tagebuchseiten den Briefen, ihren Recherchen, sowie Ausschnitten aus einer früheren Autobiografie ihres Vaters gegenüber. Nicht immer fügt sich das Gelesene passend zusammen.
Wir erfahren, wie Will Quadflieg den Einmarsch der Alliierten Truppen Anfang Mai 1945 in Lübeck erlebt, allgegenwärtig, die Furcht vor der Roten Armee. Das Land verlassen konnte er, ebenso wie Benita, eine gebürtige Schwedin nicht (mehr). Später gelingt es Benita mit den Kindern, in einem Konvoi des schwedischen Roten Kreuzes, nach Schweden evakuiert zu werden. Die Familie wird – wie so viele andere – lange Zeit getrennt bleiben. Briefe reisen hin und her.
Dass am 8. Mai 1945 Nazi-Deutschland endlich kapituliert, findet in Quadfliegs Tagebuch keinen Niederschlag, die Idee in Lübeck den Hamlet zu geben, schon.
Im September 1946 kommt die Familie Quadflieg wieder zusammen. Wenig später, im Oktober, endet das Tagebuch.
1963 wird die Ehe Benita und Will Quadflieg geschieden. Im selben Jahr heiratet er Margarethe Jacobs und bekommt weitere Kinder. Will Quadflieg stirbt am 27. November 2003, seine große Liebe, Benita, am 12. Juli 2011.
Nicht alle Fragen von Roswitha sind durch die Aufarbeitung der Briefe und des Tagebuchs beantwortet worden. Das Schweigen der Eltern und Großeltern, das eine Lücke in ihrer Familienbiografie hinterlassen hat, teilt sie mit vielen Kindern bzw. Enkelkindern der Kriegsgeneration. Im Gegensatz zur Mehrheit der Nachkommen stehen ihr die Briefe und das Tagebuch des Vaters sowie die Erinnerungen seiner Wegbegleiter zur Verfügung.
„Dennoch bleibt, dass ich einem Menschen begegnet bin, der tief in der Gedankenwelt der Nazis steckte, tief im geistesgeschichtliches Humus verruchter Zeit.“
(S. 276)
Hat er wirklich nur eine unbedeutende Rolle gespielt, wie er behauptet? Als Soldat gedient hat er nie (kaputte Knie). Er habe ja nur, wie viele andere, vor den Männern der Wehrmacht Goethe und Schiller rezitiert, sagt er als Siebzigjähriger bei einem Interview, er sei also ein Mitläufer gewesen. Es scheint, als hätte er mit dem Satz „Ich will lieber schweigen“, der zum Titel dieses Buches geworden ist, wohl seinen Anteil zugegeben.
Diese Biografie eines Mannes, der lieber geschwiegen hat, als sich zur Politik zu äußern, enthält neben einem Personenregister, einer Zeittafel, zahlreiche Fotos sowie Faksimiles des Tagebuchs. Gerne gebe ich diesem sehr persönlichen Einblick in das Leben von Will Quadflieg 5 Sterne.